VDL-Seminar: Erfolgreich verhandeln – mit Harvard oder mit AUDI?
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Beruflich und privat kommen wir immer wieder in die Situation, unsere Interessen durch Verhandeln zu wahren. Verhandlungssituationen sind vielfältig und potenziell konfliktträchtig, betreffen unterschiedliche Parteien und können im besten Fall für alle Parteien ein Gewinn sein. Schlechte Verhandlungsergebnisse schaffen Unfrieden, verbrennen erhebliche Ressourcen und führen dazu, dass die Auslöser immer wieder auf dem Verhandlungstisch landen.
Wer das nicht will, tut gut daran, Strategien für erfolgreiche Verhandlungen zu entwickeln. Vor allem Psycholog*innen und Ökonom*innen haben über die Jahrzehnte etliche Theorien und Empfehlungen zum Verhandeln entwickelt – Stichworte sind hier zum Beispiel das Harvard-Modell oder die Spieltheorie. Die unterstellten Ziele decken von Dominanz über Interessenausgleich bis Unterwerfung ein breites Spektrum an möglichen Ergebnissen ab. Auch für uns VDLer ist erfolgreiches Verhandeln persönlich und beruflich essenziell, deshalb hat der VDL-Bundesverband in Zusammenarbeit mit der dbb-Akademie ein Seminar zum Thema organisiert.
Unser Dozent, Michael Vetter, beim dbb zuständig unter anderem für Tarifverhandlungen, ist als Journalist und Radiomoderator nicht nur Experte für Sprache und Kommunikation, sondern auch ein begnadeter Schauspieler. Didaktisch hatte er für uns eine Reihe von Überraschungen parat. Es gab keine Präsentation und keine Unterlagen, keine Kamera, nur ein Flipchart, ein paar Kärtchen aus dem Moderationskoffer – und für jeden einen Block zum Mitschreiben. Den haben wir auch wirklich gebraucht, denn alles, was wichtig war, sollten wir schriftlich festhalten. Nur dann kann sich das Gelernte im Langzeitgedächtnis verankern und uns zu besseren Verhandlern in eigener und gemeinsamer Sache machen.
Also raus aus der Komfortzone und rein in die Rollenspiele, vor denen man sich ja immer etwas fürchtet, die aber auch sehr viele Erkenntnisse und Einsichten bringen. Wie geht man als Chef mit einem verdienten Mitarbeiter um, der plötzlich aus der Bahn gerät? Wie organisiert man ein Betriebsfest mit wenig Ressourcen, begeisterten, aber chaotischen Mitstreiter*innen und allerlei Unwägbarkeiten? Wie führt man eine Tarifverhandlung, wenn das Angebot gar keins ist und Forderungen zwar nachvollziehbar, aber nicht realistisch sind? Wenn einem ein mit allen Wassern gewaschener „Bundesinnenminister“ gegenüber sitzt, der die Gegenseite freundlich anlächelt und zugleich mehr oder weniger subtil „einhegt“? Das Rollenspiel der Tarifverhandlung mit drei Runden Arbeitgeber gegen Arbeitnehmer nahm einen ganzen Nachmittag in Anspruch und war ziemlich anstrengend, brachte uns aber viel Spaß und jede Menge Selbsterkenntnisse.
Natürlich gab es auch Theorie, aber der Weg zu Harvard führte nicht über ein Skript, sondern über AUDI und eine Reihe von elementaren Merksätzen, die wir aufschreiben sollten. Diese wurden auch wiederholt abgefragt – und konnte am Ende jeder von uns auch tatsächlich abrufen. Ein ganz besonderes Lernerlebnis, das wir keinem unserer früheren Lehrer erlaubt hätten, aber von Michael Vetter konnten wir es mit Anerkennung annehmen. Die wesentlichen Erkenntnisse teilen wir hier gerne:
- A U D I: Eine Zielfindungsmethode, die durch ihre einfache Form eine enorme Wirkung erzielt. Attraktive Zielsetzung (für beide Seiten) – Ultimativ formuliert (keine Interpretationsspielräume) – Demonstrativ (keine Konjunktive, klare Ansagen: MACH genau DAS genau SO bis genau DANN) – Inspirativ (beide Seiten können sich mit Wünschen und Fähigkeiten einbringen).
- „Lob ist die Königsdisziplin der Rhetorik“: Gegen Lob lässt sich schwer wehren. Auch der härteste Gegenspieler lässt sich leichter auf gemeinsame Lösungen ein, wenn er sich positiv wahrgenommen fühlt.
- „Jedem Handeln wohnt ein positiver Grundgedanke inne.“ Dieser Ansatz führt nicht automatisch dazu, dass das Ergebnis auch für mich positiv ist. Aber er erschließt das Verständnis für die Gegenseite.
- „Raus aus den Köpfen anderer Menschen“: Nicht die eigenen Vorstellungen auf andere Menschen projizieren, sondern nachfragen, was die Gegenseite denkt, will, anstrebt, ablehnt etc. Das vergrößert die Chancen, nicht offengelegte Hemmnisse zu finden und dafür gemeinsame Lösungen zu entwickeln.
- „Ich brauche einen Plan – habe ich keinen Plan, werde ich Teil des Plans eines Anderen“: Logisch – und muss doch immer wieder bewusst abgerufen werden. Eine gute Vorbereitung gegen Manipulationsversuche der anderen Seite.
- „Vertrauen ist die Basis allen Handelns“: Das ist die Beziehungsebene; mangelndes Vertrauen und negative Emotionen lassen sich durch positive Sachargumente nicht auffangen. Es lohnt sich, in die Schaffung einer Vertrauensbasis zu investieren.
Drei intensive Tage endeten nicht mit den gemeinsamen Mahlzeiten. Abends diskutierten wir noch lange über das Seminar und viele andere Themen, die beruflich oder im Ehrenamt gerade brannten. Nur die Nächte gerieten etwas kürzer. Wir haben sehr viel mitgenommen und freuen uns schon auf das nächste Seminar – wie wäre es mit „Verhandeln für Fortgeschrittene“? Und sehr gerne wieder mit Michael Vetter.
Text: Ruth Franken

