Fotos: Jens Ditter, Dr. Tania Runge, Gustav Wehner, OG Hanfanbauer Werra-Meißner
Auf die Unwägbarkeiten des Klimawandels ist der traditionelle Ackerbau, sind unsere vertrauten Kulturen, nicht ausreichend vorbereitet. Es braucht Kulturen, die mit Hitze und Trockenstress zurecht kommen, aber auch neue Verfahren für Kulturen, auf die wir nicht verzichten wollen. Wir wollten einige Konzepte kennenlernen, die bereits erprobt werden und haben dazu im Rahmen einer Exkursion nach Nordhessen vom 10. bis 12. Juli Fachleute aus Wissenschaft und Verbänden sowie Landwirte und Unternehmer besucht.
Der Werra-Meißner-Kreis in Nordhessen gehört naturräumlich nicht zu den landwirtschaftlichen Gunstregionen – umso wichtiger ist hier die Stärkung der Klimaresilienz. Auch im konventionellen Landbau werden innovative Strategien entwickelt, zum Beispiel mit dem Anbau von Nutzhanf. Auch hier muss die gesamte Wertschöpfungskette mitgedacht werden. In diesem Teil unseres Exkursionsberichts geht es um den Anbau und die Verwertung von Nutzhanf – und um einen Landwirt, der sich von der widerspenstigen Materie nicht unterkriegen lässt.
Erste Schritte und Erfahrungen
Hanf ist ein wirklich zähes Zeug – das muss auch so sein, denn schon seit über 9.000 Jahren wird die Faser unter anderem für Stricke und Seile genutzt. Das gilt natürlich nur bedingt für Sorten, die unter hermetisch abgeriegelten Bedingungen in Hallen mit Kunstlicht heranwachsen und der Erzeugung von Rauschzuständen dienen. Aber in Nordhessen, zwischen Wanfried und Witzenhausen, geht es nicht um THC, sondern um die nahezu unverwüstliche Faser aus den Stängeln der bis über drei Meter hoch wachsenden Hanfpflanzen und um die vielseitig verwertbaren Hanfnüsschen.
2015 stellte sich für Uwe Roth erstmals ernsthaft die Frage nach einer Alternative für den Anbau von Raps und Zuckerrüben. Wenn gleich zwei Kulturen aus der Fruchtfolge verschwinden, ist Ersatz dringend gefragt, und im fortschreitenden Klimawandel sollte es eine klimaresiliente Alternative sein. Obwohl Hanf seit Jahrzehnten auf der Liste der verbotenen Arten stand und praktische Erfahrungen mit dem Anbau kaum vorlagen, fand der Landwirt aus Wanfried und Geschäftsführer des Kreisbauernverbandes Werra-Meißner diese uralte Kulturpflanze ausgesprochen interessant.
Erste Recherchen führten ihn und seine Kollegen zunächst an Orte und in Kreise, wo es eher um hohe THC-Gehalte ging. Schnell kamen sie auf die richtige Spur und wagten 2017 mit neun Landwirten die ersten Anbauversuche auf 43 ha, 2018 waren es schon 65 ha und 2019 stand der Hanf schon auf 95 ha. Die Erträge an Stroh und Hanfnüssen waren besser als erwartet und die Pflanze erwies sich als unkompliziert im Anbau. Die tief reichenden Wurzeln können Wasser in tieferen Schichten erschließen, wenn der Oberboden bereits trocken ist. Mit 35 kg N ist der Nährstoffbedarf moderat und der Hanf wächst seinen Beikrautkonkurrenten so schnell davon, dass Pflanzenschutz praktisch kein Thema ist. Damit hat er eine sehr gute Öko- und CO₂-Bilanz. Je nach Standort lassen sich Erträge von vier bis sechs Tonnen Stroh und 550 bis 700 kg Hanfnüsse erzielen.
Ernte: „wenn wir das vorher gewusst hätten . . .“
Die erste Ernte stellte die Landwirte vor ungeahnte Probleme. Der robuste Hanfstängel besteht aus Fasern und Schäben, die für
verschiedene Zwecke eingesetzt werden können. Aber die Materie ist ausgesprochen zäh und überforderte die übliche Erntetechnik. Und als das Stroh endlich auf dem Feld lag, schredderte es sieben Rundballen- und eine Großballenpresse, bevor eine Maschine des Herstellers Kuhn mit einigen Zurichtungen und besonderen Einstellungen der Aufgabe Herr wurde.
Damit war zwar das Stroh auf dem Hof, aber die Verarbeitung zu vermarktungsfähigen Produkten forderte den Durchhaltewillen der Landwirte ein weiteres Mal. Viele hätten an dieser Stelle aufgegeben, aber nicht Uwe Roth, der nach der Devise „Jetzt erst recht!“ immer wieder neue Anläufe unternahm, die Technik in den Griff zu bekommen. Die Maschinen, die heute zum Einsatz kommen, sind das Ergebnis von Hartnäckigkeit, Mut, Kreativität – und einer besonderen Förderstrategie.
With a little help from our friends . . .
Schnell wurde klar, dass die Aufgabe mehr Ressourcen erforderte, als die Landwirte selbst bereitstellen konnten. Aber die ersten Ergebnisse hatten auch gezeigt, dass die Vision so vielversprechend war, dass die Suche nach externer Unterstützung sich lohnte. 2017 bewarben sich die Hanferzeuger als „Operationelle Gruppe Hanfanbauer Werra-Meißner“ erfolgreich um eine Förderung der Europäischen Innovationspartnerschaft „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ (EIP-AGRI). Die Innovation bestand darin, eine neuartige Frucht anzubauen, sie in der Fruchtfolge des Betriebs zu verankern und dazu die komplette Wertschöpfungskette aufzubauen. Im Dezember 2018 kam schließlich die Zusage für 300.000 Euro in einem Förderzeitraum von 2019 bis 2023.
Mit diesen Mitteln wurde zunächst die Erntetechnik an die speziellen Eigenschaften der Hanfpflanzen angepasst. Heute wird zum
Dreschen ein Lohnunternehmer vom Bodensee mit einem speziell modifizierten Deutz-Fahr-Mähdrescher mit Maisgebiss gebucht, der die Nüsse erntet und das Stroh auf Schwad legt. Die schon erwähnte Rundballenpresse erledigt nach der erforderlichen Feldröste im Herbst das Pressen des Strohs im Frühjahr.
Um das Transportvolumen des Hanfstrohs zu reduzieren, entwickelten die Hanfanbauer ein innovatives Verfahren, mit dem der gesamte Hanfstängel zu hochwertigen, saugfähigen Pellets verarbeitet wird – ohne die Fasern von den Schäben zu trennen. Hierfür werden Fasern und Schäben zunächst gemahlen und dann zu Pellets gepresst. Das Herzstück der Verarbeitung, die für genau diese Aufgabe konfigurierte Maschine, steht auf dem Hof von Uwe Roth.
Wert schöpfen am Markt
Auch die Wertschöpfungskette musste neu aufgesetzt werden. Der Aufbau von Vertriebsnetzwerken ohne Zwischenhandel für Hanfnüsse und Hanfstroh ist nichts für Anfänger, aber das sind die Hanfanbauer inzwischen ohnehin nicht mehr. Die größte Herausforderung für die Wirtschaftlichkeit liegt in dem großen Transportvolumen und den daraus resultierenden hohen Transportkosten des Hanfstrohs. Mit den Pellets steht jetzt ein Produkt von großer Attraktivität und Transportwürdigkeit für die Vermarktung an Tierhalter zur Verfügung. Die Einstreu für Geflügel und Pferde ist vollständig biologisch abbaubar und auch für Pferde mit Allergien geeignet.
Als ausgesprochen marktfähig haben sich auch die Hanfnüsschen erwiesen. Der Hanf, den die OG Hanfanbauer Werra-Meißner erntet, ist kein medizinischer Hanf und damit als Lebensmittel zu vermarkten. So kann die Hanfsaat als Mehl oder Korn in Bäckereien Zutat in Brötchen sein oder gepresst als Öl für Salate oder andere Speisen verwendet werden. Ohne weitere Verarbeitung kann Hanf als Tierfutter in Körnermischungen für Tauben, Hühner oder andere Vögel angeboten werden.
Der Lohn der Mühen
Am Ende zahlte sich die Arbeit der Landwirte – und vor allem das Durchhaltvermögen – aus: Die Hanfanbauer Werra-Meißner ernteten nicht nur die Fördersumme von 300.000 Euro aus dem EIP, auskömmliche Erträge an Hanfstroh und Hanfnüssen, sondern auch internationale Anerkennung. Am 7. Mai 2024 wurde die OG Hanfanbauer Werra-Meißner mit dem „EIP-AGRI Innovation Award“ für „innovative Geschäftsmodelle mit dem Schwerpunkt auf kurzen Lieferketten für Lebensmittel, Marketing und Verbrauchsinitiativen“ ausgezeichnet.
Die Erfolgsfaktoren für diese zukunftsweisende Initiative lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Mit dem Landwirt Uwe Roth hat eine Persönlichkeit mit Überzeugungskraft und Durchhaltevermögen dieses Projekt initiiert und maßgeblich geprägt.
- Grundlage ist eine Vision mit Umsetzungspotenzial und den nötigen Ressourcen, auch Durststrecken zu überwinden.
- Mitgemacht haben landwirtschaftliche Mitstreiter mit genug Fläche, die dem Projekt auch durch alle Hindernisse hindurch treu und verbunden blieben.
- Technisch versierte Mitstreiter meisterten mit Kreativität und Ingenieurwissen die Tücken der Verarbeitung.
- Im Ergebnis entstanden innovative Produkte, konfiguriert für aufnahmefähige Märkte.
- Die EIP-Förderung war für den Projekterfolg essenziell.
Als Gäste auf dem Betrieb von Uwe Roth haben wir über die OG Hanfanbauer Werra-Meißner weit über über unser Anliegen der Klimaresilienz hinaus viel Neues erfahren und gesehen. Wir sind beeindruckt von der Innovationskraft dieser Landwirte und sind zuversichtlich, dass sie auch unter veränderten Rahmenbedingungen einen guten Weg in die Zukunft gehen werden.
Text: Jens Ditter, Gustav Wehner, Ruth Franken