Fotos: August und Manuela Daiber, Hartmut Lüdeke, Gustav Wehner
Mit ca. 1.000 km Entfernung sollte eine Studienreise in die Steiermark eine unproblematische Angelegenheit sein, denn den größten Teil der Entfernung kann man mit dem Zug zurücklegen. Nur vor Ort braucht man dann den Reisebus. Der (Fahr)Plan war also eigentlich ganz unkompliziert: Mit der Bahn von Hannover nach Linz in ca. sechs Stunden, in Linz den Abend an der Donau verbringen und am nächsten Tag weiter mit dem Reisebus in die Steiermark. In der praktischen Umsetzung klappte es nicht ganz, da ein lebensmüder Zeitgenosse die Bahn missbrauchte. Damit war die Hauptstrecke auf Stunden gesperrt. Die Verteilung der vielen Züge auf Nebenstrecken kostete uns viel Zeit durch Streckenüberlastung und Baustellen. Spaß hatten wir trotzdem, so leicht lassen wir uns nicht erschüttern. Wir haben alles geschafft, selbst den rasanten Umstieg im Münchener Hauptbahnhof. Der „entspannte Abend an der Donau“ schrumpfte nach der langen und anstrengenden Zugfahrt allerdings zu einer sehr kurzen Nacht im Hotel.
Auf dem Weg in die Steiermark war am Sonntag der erste Programmpunkt den weltberühmten Lipizzanern der Spanischen Hofreitschule in Wien gewidmet, die auf dem Gestüt Piber in Köflach geboren, aufgezogen und ausgebildet werden. Dort erfreuten wir uns an den eleganten Pferden, die übrigens dunkel geboren werden und erst viel später ihr weißes Fell entwickeln. Wir erhielten eine spannende Gruppenführung von einer Expertin, die all unsere Fragen umfassend beantworten konnte. Auf dem weiteren Weg nach Weiz, wo wir die ganze Woche logierten, konnten wir noch einen Blick in die berühmte Barbarakirche werfen, die von Friedensreich Hundertwasser gestaltet wurde.
Der Montag war ganz dem Ackerbau und der Saatgutwirtschaft in der Steiermark gewidmet. Herr Krenn, Saatguttechniker der Steirersaat eGen mit langjähriger Erfahrung, nahm uns am Flugplatz Unterfladnitz in Empfang, von wo die steirischen Hagelflieger starten. Die südöstliche Steiermark gehört zu den weltweit am stärksten von Hagelstürmen betroffenen Regionen, allein an diesem kleinen Flugplatz sind vier speziell ausgerüstete Hagelflieger stationiert.
Herr Krenn zeigte uns bei einer Feldrundfahrt typische Kulturen der Region und erklärte die Feinheiten der Züchtung, des Anbaus und der Saatgutvermehrung. Auf dem Programm standen unter anderem Acker- und Sojabohnen, Ölkürbis, Sorghumhirse und vor allem Mais, der hier beste Bedingungen für die Saatguterzeugung vorfindet. Abgerundet wurde das Thema mit einem Besuch der Saatgutaufbereitung der Raiffeisen Warengenossenschaft in Lannach, die ihre Produkte sehr erfolgreich europaweit vermarkten kann. Nachmittags besuchten wir die Ölmühle Labugger, um die Produktion des steirischen Kürbiskernöls kennenzulernen. Nach einer eher touristisch orientierten Einführung durch den Eigentümer bekamen wir vom Mitarbeiter, der gerade die Presse bediente, noch sehr interessante vertiefende Informationen zur gesamten Produktion.
Am Dienstag führte uns der Weg höher hinauf in die Berge westlich von Graz. Dort bewirtschaftet die Familie Weißensteiner einen Milchviehbetrieb auf Steillagen, die unserem Busfahrer bei der Anfahrt volle Konzentration und Können abverlangten. Die Familie ist das Wagnis eingegangen, aus dem Nebenerwerb in den Haupterwerb aufzustocken. Dazu musste investiert werden: Ein Boxenlaufstall in Hanglage mit Melkroboter bildet heute die Grundlage für eine erfolgreiche Milcherzeugung mit rund 60 Milchkühen und Nachzucht. Herr Weißensteiner hat jegliche Technik im Griff und hält nicht nur den Melkroboter in allen Lebenslagen zuverlässig am Laufen. Zum Einkommen trägt auch die Ferienwohnung bei; der Urlaub auf dem Bauernhof ist gut gebucht. Von der Geschichte des Hofes bekamen wir einen guten Einblick und waren sehr beeindruckt von der Tatkraft der Familie.
Nach einer Mittagspause im schönen Schloss Stainz besuchten wir den Schilcherland-Genusshof, wo wir eine steirische Besonderheit kennenlernen wollten. Der Schilcher ist ein Roséwein mit ganz eigenem Charakter, der nur in dieser Region produziert wird, die auch „Schilcherland“ genannt wird. Der Junior-Winzer, der in Geisenheim Weinbau studiert, nahm sich viel Zeit für uns und ging ausführlich auf unsere Fragen ein. Nebenbei wurden Wein, Schnaps und eine üppige Brotzeit gereicht und wir konnten auch einen Geschmackseindruck vom Schilcher bekommen.
Am Mittwoch eroberten wir die Riegersburg im östlich von Graz gelegenen Vulkanland. Sie wurde auf einem Basaltkegel errichtet, der sich erfolgreich der Erosion widersetzt hat. Von dort hat man einen grandiosen Blick ins Land – das war für eine frühzeitige „Feindsicht“ überlebenswichtig. Zur Burg gehören innerhalb der Mauern auch drei Hektar Rebfläche an den östlichen Bergflanken, die von der Winzerfamilie Bernhart bewirtschaftet werden. Die Burgweingärten zählen zu den exklusivsten Lagen der Steiermark mit vielen Sonnenstunden. Der vulkanische Boden hält nachts die Wärme und gibt dem Burgwein seinen speziellen Charakter. Bei Familie Bernhart bekamen wir einen Überblick über den Betrieb, die Besonderheiten des Burgweins und einen Rundgang durch den Weinkeller. Anschließend konnten wir bei einem Mittagsimbiss auch Kostproben der edlen Tropfen genießen.
Anschließend ging es zur Essigmanufaktur Gölles, die Ende der 50er Jahre vom Landwirt Alois Gölles gegründet wurde. Er stieg als einer der ersten in der Steiermark in den Apfelanbau ein – heute ist das südoststeirische Vulkanland Österreichs größtes Obstanbaugebiet. Alois Gölles junior übernahm und baute den Betrieb weiter aus, spezialisierte sich auf feine Essige und Edelbrände. 1984 entwickelte er ein Verfahren, nach italienischem Vorbild Apfel-Balsamessig herzustellen. Dazu wird der Most von steirischen Apfelsorten eingekocht, vergoren und mehrere Jahre in Eichenfässern gereift. Wir hatten uns schon etwas schlau gelesen und hegten große Erwartungen, in diesem Betrieb hinter die Kulissen blicken zu können. Leider wurden wir enttäuscht, denn anstelle der Betriebsgeschichte bekamen wir eine professionelle Verkaufsschau geboten. Unsere Führerin gab sich zwar viel Mühe, konnte aber unsere Fragen nur ansatzweise beantworten, denn sie war selbst erst seit wenigen Wochen dort tätig. Allerdings haben auch wir die in uns gesetzten Erwartungen nicht erfüllt, denn als Bahnreisende haben wir natürlich nicht den gewünschten Umsatz generiert.
Die bessere Entscheidung trafen drei Damen aus der Gruppe, die sich in die ganz in der Nähe gelegene Schokoladenmanufaktur Zotter absetzten. Schokolade vom Feinsten – mit den entsprechenden Preisen – wurde ad libitum während der Betriebsführung zum Probieren bereitgestellt. Da waren selbst die drei Naschkatzen am Ende leicht überfordert.
Der Donnerstag war für Graz vorgesehen, die Landeshauptstadt der Steiermark. Eine mehrstündige Führung versorgte uns mit allen wesentlichen Informationen zur Geschichte und zur aktuellen Lage der Stadt und brachte uns zu allen Orten, die man gesehen und von denen man den Ausblick genossen haben muss. Am Nachmittag besuchten wir die Landwirtschaftskammer Steiermark, wo uns ein Überblick über die Landwirtschaft der Region und die Aufgaben der Kammer geboten wurde. Ähnlichkeiten mit und Unterschiede zu unserer niedersächsischen Landwirtschaftskammer konnten wir mit den steirischen Kollegen diskutieren und uns über Märkte, Direktvermarktung und Agrarförderung in der Steiermark und anderswo austauschen.
Der Freitag begann mit einer Besichtigung der gleich neben dem Hotel liegenden Basilika von Weiz. Unsere freundliche Kirchenführerin begleitete uns dabei mit viel Leidenschaft von der Kirchentür bis vor zum Hochaltar. Zu sehen waren neben vielen Kunstobjekten die Orgel, wunderschöne Deckenfresken und ein Rosenkranzaltar. Die Basilika zählt zu den schönsten spätbarocken Kirchen der Steiermark. Anschließend wurden wir vom Obstbauern Josef Wilhelm abgeholt, der uns zunächst im Bus durch das Steirische Apfelland führte, das im Vulkanland die obstbauliche Schwerpunktregion bildet. Die Landwirtschaft speziell hier in der Oststeiermark ist klein strukturiert; das sind Betriebe mit maximal 15 ha Obstbaufläche. Wenn man hier von Obstbau spricht, ist in der Regel der Apfel gemeint.
Der Obstbaubetrieb Wilhelm liegt geologisch auf der „Oststeirischen Platte“. Eine Apfelsorte, die bestens in dieser südlichen Hanglage auf dem Sandboden gedeiht, ist der „Kronprinz Rudolf“. Der Betrieb umfasst ca. 30 ha Grundfläche, davon ca. 10 ha Obstbau mit Brennerei. Für die Brennerei ist dabei die Williams Birne die Hauptfrucht. Dann gehören noch 8 ha Forst und 10 ha verpachtete Fläche dazu. 2003 konnte Wilhelm Richtung Osten auf der ungarischen Seite des Eisenbergs einen Weingarten erwerben und damit sein Sortiment erweitern. Der Betrieb arbeitet konventionell auf hohem Standard und vermarktet sein Obst direkt an Stammkunden und an den Einzelhandel. Ein erheblicher Teil der Ernte wird zu verschiedenen Edelbränden sowie Most und Saft verarbeitet und im Hofladen sowie im Online-Shop verkauft.
Eine Herausforderung, die die Obstbauern hier umtreibt, ist die Klimaerwärmung. Es gibt kaum noch richtige Winter, aber nach wie vor Spätfröste. Damit beginnt die Vegetation schon im April, während bis in den Mai hinein noch Spätfröste auftreten können. Betriebe ohne Frostberegnung verzeichnen deshalb große Verluste. Die Marillen in der Steiermark sind dieses Jahr alle erfroren. Der Betrieb Wilhelm ist auch von Spätfrösten betroffen und arbeitet deshalb mit Frostberegnung als sog. „Überkronenberegnung“, die gleichzeitig als Bewässerung dient. Dieses System sichert dem Betrieb den Ertrag. Ein weiteres Element sind die Hagelschutznetze, die das Landschaftsbild im Steirischen Apfelland prägen, denn auch Extremwetterereignisse mit Hagelschlag häufen sich hier im Klimawandel.
Nach einigen Kostproben aus dem reichhaltigen Sortiment der Wilhelms steuerten wir unser letztes Reiseziel an, das „Haus des Apfels“, das ebenfalls in Puch/Weiz liegt. Das Apfelmuseum erzählt anhand vieler Exponate die Mythologie und Geschichte des Apfels und erklärt den Apfelanbau mit Baumschnitt, Veredlungsformen, Pflanzenschutz, Hagelabwehr, Ernte und Verarbeitung.
Beim Rundgang stößt der Besucher an der ein oder anderen Stelle auf die geheimnisvollen „Apfelmänner“, eine Art Geheimbund mit dem Ziel, „die höchste Vergeistigung des Apfels“ zu erreichen. Niemals solle es einen besseren Apfelschnaps als den mystischen Abakus geben. Der Abakus soll dabei nicht in Konkurrenz zu den anderen Brennereien stehen (www.abakus-puch.at).Von jedem Jahrgang werden 1444 Flaschen gefüllt.
Am Abend kam es spontan noch zu einem letzten interessanten Programmpunkt: Der Hotelbesitzer zeigte uns sein genossenschaftlich organisiertes Holzheizwerk, das auch der Nahwärmeversorgung der Schule und umliegender Häuser dient.
Die Heimfahrt gestaltete sich ähnlich anspruchsvoll wie die Anreise, allerdings ohne den anstrengenden Umstieg in München, ohne Notarzteinsatz an der Strecke und ohne weiträumige Umleitungen, so dass als letzte Reisende auch die Oldenburger schließlich mit „nur“ zwei Stunden Verspätung zuhause ankamen. Insgesamt war es eine interessante Reise mit vielen Highlights (und auch kleinen Enttäuschungen) in das „Genussland Steiermark“.
Text: VDL Niedersachsen, Teilnehmende der Studienreise