Trecker in den Straßen von Berlin und Hamburg, Blockaden von Landwirten vor den Lagern der großen Discounter. Die Landwirte in Deutschland sind sauer, sehen ihre Zukunft schwarz.
Wie steht es um die Landwirtschaft in Deutschland? Was läuft verkehrt und ist der Protest berechtigt? Das wollen wir klären und haben mit Markus W. Ebel-Wald-mann, dem Präsidenten des VDL-Bundesverbandes Berufsverband Agrar, Ernährung, Umwelt e.V. gesprochen.
Bauern protestieren von den großen Discountern, die EU plant eine gigantische Reform der Förderungen in der Landwirtschaft – wie sehen Sie die Zukunft der Landwirtschaft?
Unternehmerische Landwirtschaft in Deutschland wird zukunftsfähig sein! Die Landwirtschaft und die gesamte mit ihr verbundene Wertschöpfungskette von der Erzeugung über die Verarbeitung, den Groß- und Einzelhandel bis hin zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern steht vor einem gewaltigen Paradigmenwechsel. Die Landwirtschaft ist hierbei derzeit nicht zu beneiden, da sie sich nicht nur selbst neu ausrichten muss, sondern an vielen Fronten zu kämpfen hat: Tierwohl, Artenrückgang, Nährstoffüberschüsse, Antibiotika- und Pestizideinsatz bis hin zum Klimawandel – kaum ein Tag, ohne dass die Landwirt-schaft Schlagzeilen macht. Die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung und die Zukunftsfähigkeit der Branche wird von einer breiten Öffentlichkeit diskutiert.
Immer größer, immer mehr Fläche und immer mehr HighTech im Stall und auf dem Acker – wo wird das Hin-führen und ist dieser Weg eigentlich noch zeitgemäß?
Produktivitätssteigerungen durch den Einsatz neuer Technologien, klugen Innovationen und Vermarktungsstrategien sind in allen Branchen der Wirtschaft selbstverständlich und werden auch er-wartet. Nur in der Landwirtschaft wird dies seit vielen Jahrzehnte fortlaufend hinterfragt. Keine andere Branche kann aber so nachhaltig wirtschaften, also ökologische, ökonomische und soziale Aspekte vereinen. Alleine schon bei der Digitalisierung war die Landwirtschaft Vorreiter und hat hier Maßstäbe gesetzt. Dank der exzellenten Arbeit an unseren Hochschulen und im Agribusiness wird dies auch so bleiben.
Wie kann die Landwirtschaft CO2-neutral werden – was muss sich verändern?
Bis 2030 will Deutschland den Treibhausgasausstoß um mindestens 55 Prozent verringern. Das Klimaschutzgesetz sieht vor, die jährlichen Emissionen in der Landwirtschaft bis 2030 gegenüber 2014 um 14 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente zu reduzieren. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat hierzu ein umfangreiches Maßnahmenpaket entwickelt, um sicherzustellen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Dieses ist Teil des Klimaschutzprogramms 2030 geworden.
Stichwort CRISP und Genschere – könnte mit dem Einsatz dieser Technologien der Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln drastisch reduzierte werden (siehe das Projekt Pilton-Weizen)?
CRISPR hat zweifelsfrei für die landwirtschaftliche Pflanzenzüchtung eine große Bedeutung. Dieses Verfahren eröffnet zum Beispiel Möglichkeiten, Kulturpflanzen widerstandsfähiger gegen schädliche Pilze, Viren und Bakterien zu machen. Auf diese Weise könnten krankheitsbedingte Ertragsverluste und zugleich der Pflanzenschutzmittelaufwand minimiert werden. Erste Erfolge gibt es bereits: So ist es Forscherinnen und Forschern zum Beispiel gelungen, mit CRISPR/Cas eine Weizensorte zu entwickeln, die eine wirksame Resistenz gegen den bedeutenden Schadpilz Mehltau zeigt. Pflanzen können zudem hitze- und dürreverträglicher gemacht werden, um den Folgen des Klimawandels entgegenzuwirken. Es gibt also vielfältige Anwendungsmöglichkeiten für diese Form der Gentechnik, die – wenn man sie einsetzen möchte – Nutzen stiften kann.
Trotz Corona ein Blick in Zukunft – was bringt das Jahr?
Es ist zu hoffen, dass sich Landwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel in diesem Jahr den gemeinsamen Herausforderungen stellen. Die Einrichtung einer nationalen Ombudsstelle zwischen Handel und Landwirtschaft ist hier ein erster wichtiger Schritt. Die Potenziale der Digitalisierung werden durch die Corona-Pandemie nochmals einen gewaltigen Schub erfahren. Bleibt zu hoffen, dass die Landwirtschaft und ihrer vielfältigen Leistungen ebenfalls einen Schub an gesellschaftlicher Anerkennung erfahren und nicht zuletzt die politischen Rahmenbedingungen so gestaltet wer-den, dass alle in der Wertschöpfungskette auch wirtschaftlich davon partizipieren.
In einer Studie geht die DZ-Bank davon aus, dass sich die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe von derzeit rund 267.000 bis zum Jahr 2040 auf 100.000 reduzieren wird.
Sonderpublikation in Die Welt im April 2021 (Analyse Nr. 71 / April 2021 / S. 24)