Bericht von der Kirgistan Expedition 2023

Vier Klimazonen, ~ 700.000 Pferde, ~ 10 Millionen Schafe, Höhenlagen zischen 394 bis 7.439 m, unendliche Weite der Steppen und mittendrin neun abenteuerlustige VDL-Mitglieder: Vom 06. bis zum 26. August schlossen wir uns als VDL-Mitglieder unterschiedlichster Landesverbände einer Expedition ins ferne Kirgistan an, um Land, Leute und Landwirtschaft kennenzulernen. Unter der Leitung von Dipl. Ing. Stephan Flechtner, Gründer des Instituts für Ökologie mit Sitz in Bischkek, bereisten wir in einer Gruppe von insgesamt 43 Personen vor allem den Norden und die Mitte des Landes. Die mitreisenden Menschen, ihre Lebensgeschichte, ihre Offenheit und die geteilte Abenteuerlust erwiesen sich als ansteckend und überaus wertvoll für die gemeinsame Reise. Die Gruppe wurde tagsüber jeweils in die zwei Fachgruppen „Geowissenschaften“ und „Landwirtschaft“ unterteilt. Ein typischer Tag bestand aus mehreren Vorlesungen sowie fachlichen und außerfachlichen Programmpunkten und Stopps. Dabei brachten uns ehemalige, umgebaute Militärlastwagen mitsamt unserem Gepäck auf dem Dach verstaut (inklusive Zelte) auf den einfachen Straßen Kirgistans sicher auf Höhen von mehr als 3.000 m über N.N.

90 % der Landesfläche Kirgistans liegen über 1.500 m und sind bergig, was als Hauptgrund dafür angesehen werden kann, dass 87 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche Weideland bilden. Die Weidetierhaltung war während der gesamten Reise omnipräsent, wobei die Pferdehaltung dabei einen prominenten und tief verwurzelten Anteil in der bis 1933 stark nomadisch geprägten Kultur des Landes hat. Anders als in Europa werden die Stuten in Kirgistan bis zu sechsmal am Tag gemolken. Kumys, vergorene Stutenmilch, ließ sich auf allen Basaren im Land finden und wurde uns von den überaus gastfreundlichen Kirgisen zur Verkostung dargeboten. Neben Pferden haben Schafe (vorrangig das Fettschwanzschaf) eine weiterhin große Bedeutung, gefolgt von Milchkühen und vereinzelt auch Yaks. Die Haltung findet äußerst extensiv statt, wobei die Probleme von Überweidung an mehreren Stellen aus futterbaulicher und geobotanischer Sicht erkenntlich wurden. Der Besuch eines hochmodernen Futtermittelwerks hat uns gezeigt, dass die Tierernährung im Land Fortschritte macht und sich tendenziell bedarfsgerechter entwickelt.

Im Verlauf der Reise begleitete uns unter anderem Prof. em. Dr. Rüdiger Anlauf von der Hochschule Osnabrück. Als Bodenkundler verstand er es, uns und den anderen Expeditionsteilnehmer*innen die äußerst diversen Böden sowie geologischen Besonderheiten Kirgistans anschaulich und praxisnah zu erläutern. In den ackerbaulich genutzten Regionen des Landes, bietet die häufig anzutreffende Schwarzerde eine äußerst vielversprechende Basis für gute Erträge. Bedingt durch das zum Teil stark niederschlagsarme Klima und den damit einhergehenden negativen Wasserbilanzen sind vielerorts Bewässerungssysteme installiert worden. Im Tschüi-Becken, was im Norden des Landes liegt, konnten so mehr als 300.000 ha Ackerland nutzbar gemacht werden. Die Gersten- und Weizenbestände rund um den größten See des Landes, dem Yssyköl, wiesen in diesem Jahr dennoch Erträge von lediglich 2 bis 3 t / ha auf. Ursächlich sind neben dem potenziellen Mangel an Wasser auch fehlende bzw. unzureichend eingesetzte Betriebsmittel (Diesel, Mineraldünger, Pflanzenschutzmittel und moderne Sorten), vor allem aber das fehlende Wissen unter den Landwirt*innen. Auf Basis unserer Erfahrungen und der vielen geführten Gesprächen auf der Reise, fehlen Strukturen für den Wissenstransfer sowie zur Beratung, ähnlich wie wir sie in Deutschland kennen und zu schätzen wissen. Vor dem Hintergrund, dass die Bruttowertschöpfung des Sektors „Landwirtschaft“ in Kirgistan ca. 18 % des Bruttoinlandsproduktes ausmacht, wird die Bedeutung potenzieller Beratungsstrukturen noch einmal deutlicher.

Neben den agrarwissenschaftlichen Aspekten haben wir in den drei Wochen viel über die Botanik der verschieden zonalen und extrazonalen Vegetationszonen Kirgistans gelernt. Überdies standen auch Themen wie Geologie, Hydrologie, Geschichte, Politik, Kultur und Brauchtümer der kirgisischen Gesellschaft auf dem Plan. Im Rahmen verschiedenster Tages-Wanderungen gelangten wir zu Fuß auf Höhen von bis zu 4050 m und konnten uns ein eigenes Bild, von der leider sehr starken Gletscherschmelze im Land machen (19 % Flächenverlust in den vergangenen 30 Jahren). Kirgistan zeichnet sich durch eine kaum beschreibbare Weite aus, die in Verbindung mit den von uns besuchten Seen Yssyköl (1.607 m über N.N.) und Söngköl (3.016 m über N.N.) eine Schönheit aufweist, die uns zusammen mit der Herzlichkeit der Menschen tief in Erinnerung bleiben werden. Für das tägliche Wohl inklusive kulinarischer Höhepunkte sorgte die immer mitreisende Feldküche, die uns tagtäglich mit drei leckeren Mahlzeiten verköstigte.

Sowohl fachlich als auch außerfachlich begegneten uns im Verlauf der Reise viele Momente, in denen die Bedeutung der ehemaligen UdSSR-Zugehörigkeit sowie dessen Zerfall sehr deutlich ersichtlich wurde. Kirgistan zählt zu den demokratischsten Ländern Mittelasiens, welches sich vorrangig in den vergangenen Jahren gegenüber westlichen Einflüssen geöffnet hat. In dem Zusammenhang waren auffallend viele (alte) Audi 80 und Audi 100 im Straßenbild präsent, was dies exemplarisch abermals unterstreicht. Dennoch bildet die Infrastruktur, welche damals in der ehemaligen UdSSR erbaut wurde, zum größten Teil die heutige genutzte Substanz. Echte Modernisierungen und Investitionen fehlen in den von uns besuchten Landesteilen, was auch ursächlich für viele vorherrschende ökologische Probleme ist. Ein Beispiel ist die insbesondere im Winterhalbjahr stark auftretende Luftverschmutzung in der Hauptstadt und Metropole Bischkek.

An dieser Stelle möchten wir uns für die Organisation rund um die Expedition herzlich bedanken und sind dankbar dafür, dass wir Kirgistan mitsamt dessen wunderschönen Naturräume bereisen konnten, verbunden mit den mannigfaltigen Eindrücken sowie den gewonnenen Erkenntnissen.

 

Die Gruppe bestand aus: Hanna Altrogge, Malte Beecken, Helena Holderberg, Anne-Kathrin Ilzhöfer, Maximilian Kreissl, Charlotte Schulze Wehninck, Sebastian Streit, Janika Schröder und Felix Wolff

Text & Fotos: Sebastian Streit und Malte Beecken

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