TH Bingen: Forschung mit starkem Praxisbezug

Bilder: Christian Riede, Eberhard Köhler

Seit 1897 bildet die Technische Hochschule Bingen Studierende in den Ingenieur- und Naturwissenschaften aus. Hier kann man neben Agrarwirtschaft auch Landwirtschaft und Umwelt sowie Klimaschutz und Klimaanpassung studieren, um nur einige zu nennen. Neben der Lehre sind an der THB auch verschiedene Forschungsschwerpunkte mit starkem Praxisbezug angesiedelt, über die wir einen Einblick erhalten wollten. So trafen wir uns nach den beiden Exkursionen nachmittags auf dem Campus der TH mit Dr. Benjamin Klauk, Vorstandsmitglied des VDL Rheinland-Pfalz/Saarland und wissenschaftlicher Mitarbeiter der THB. Die Präsidentin der TH Bingen, Prof. Dr. Antje Krause, begrüßte uns persönlich und hieß uns auf dem Campus willkommen. Danach ging es gleich zur Sache mit der Vorstellung eines nicht nur für Rheinland-Pfalz bedeutenden Forschungsprogramms.

Zikaden-Alarm!

Begrüßung durch Prof. Antje Krause, Präsidentin der THB

Begrüßung durch Prof. Antje Krause, Präsidentin der THB

In Rheinland-Pfalz verursachen bakterielle, von der Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus) übertragene Pflanzenkrankheiten gravierende Schäden beim Anbau von Zuckerrüben, Kartoffeln und Gemüse. Bekannt sind sie unter Begriffen wie „Stolbur“ und „SBR“ (Syndrome Basses richesses) mit Symptomen wie Blattwelke und gummiartigen Rüben oder Kartoffelknollen. Das Ergebnis sind starke Ertragseinbußen und eine schlechte Verarbeitungsfähigkeit des Ernteguts. Wissenschaftlich werden die Erreger unter den Termini ARSEPH und PHYPSO zusammengefasst und erforscht.

Das Kernproblem ist die Schilf-Glasflügelzikade, die sich lebenslang mit den Erregern in einer Symbiose verbindet und die Epidemie im Zuge des Klimawandels in rasender Geschwindigkeit weiter nach Norden trägt. Die bisherige Geschichte der Ausbreitung liest sich wie ein Krimi: Erstmals wurde die Zikade als Überträger auffällig 1991 in Frankreich (Burgund, Franche-Comté) mit Einkommenseinbußen bis zu 50 % für die Rübenbauern. Bis 2008 wurden fünf Zuckerfabriken geschlossen und der Zuckerrübenanbau eingestellt. Im Jahr 2009 tauchte SBR erstmals in Deutschland im Landkreis Heilbronn auf und wurde 2017 in der Schweiz und in Sachsen nachgewiesen. Zwischen 2018 und 2024 kam es zu einer starken epidemischen Ausbreitung in den Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, und ein Ende ist nicht abzusehen.

Bottom-up: Praxisbasierte Forschung im Netzwerk der Akteure

Hat der Zikade den Kampf angesagt: Dr. Christian Lang

Hat der Zikade den Kampf angesagt: Dr. Christian Lang

Dr. Christian Lang, Ehrenvorsitzender des VDL Landesverbandes Rheinland-Pfalz, gehörte zu den Ersten, die die Dimension dieser Epidemie erkannten und sie als existenzielle Bedrohung der Landwirtschaft wahrnahmen. Als Geschäftsführer des Verbandes der Hessisch-Pfälzischen Zuckerrübenanbauer e.V. war er nah dran an der Praxis, aber auch an der Zuckerindustrie, und erkannte schnell, dass die Sache keinen „Marsch durch die Instanzen“ vertragen würde.

Dr. Lang wartete nicht darauf, dass Politik und Wissenschaft sich des Problems annahmen, sondern wurde selbst aktiv – und brachte sein umfangreiches Netzwerk in Stellung. Mit seinen Verbindungen in die gesamte Branche holte er mit der TH Bingen und anderen Hochschulen die Wissenschaft ins Boot, aktivierte Kolleginnen und Kollegen aus betroffenen Verbänden, alarmierte die Zuckerindustrie – und besorgte die Finanzierung für erste Forschungsprojekte. So gelang es ihm, ein praxisnahes, projektfinanziertes Forschungsnetzwerk aufzubauen und ständig zu erweitern, das alle Aspekte des Themas von der Biologie der Erreger und der Zikaden über die Symptomatik und Ausbreitung bis hin zu Fragen der integrierten Bekämpfung der Zikaden bearbeitet.

Die 2020 gegründete „Forschungsgemeinschaft Zuckerrübe Südwest“ besteht aus Institutionen in Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz und wurde uns von Jana Stohl, die als Projektmitarbeiterin an einem der zahlreichen Forschungsprojekte arbeitet, vorgestellt. Gemeinsame Ziele sind:

  • Förderung des Versuchswesens im Zuckerrübenanbau, der Zuckerrübenzüchtung und produktionstechnischer Weiterentwicklung.
  • Förderung der Fortbildung von Zuckerrübenanbauern.
  • Förderung von Maßnahmen und Untersuchungen, die die Nachhaltigkeit des Anbaus oder die Beratung und den Transfer in die Praxis verbessern.
  • Internationale, grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei den oben genannten Zielen
  • Beantragung und Durchführung überregionaler, gemeinsamer Forschungsvorhaben insbesondere in den Bereichen Agrarökologie, integriertem Pflanzenschutz, Pflanzenernährung, Züchtung und Betriebswirtschaft sowie Promotions- und Abschlussarbeiten etc.

Inzwischen geht es längst nicht mehr nur um Zuckerrüben, denn die Zikade hat ihren Aktionsraum auf den Kartoffel- und Gemüseanbau erweitert. So werden auch die Projekte auf diese Kulturen ausgeweitet. Etliche Dissertationen entstehen in den Projekten und es werden Millionen Euro aus verschiedenen Fördertöpfen eingesetzt, zum Beispiel im Rahmen der Europäischen Innovationspartnerschaft (EIP). EULLE ist das Programm des Landes Rheinland-Pfalz, in dem die EIP-Agri Projekte gefördert werden.

Teilnehmer lauschen aufmerksam den Ausführungen von Jana Stohl und Dr. Benjamin Klauk

Teilnehmer lauschen aufmerksam den Ausführungen von Jana Stohl und Dr. Benjamin Klauk

Anschließend stellte Dr. Benjamin Klauk, Wissenschaftlicher Mitarbeit der TH Bingen und Vorstandsmitglied im VDL Rheinland-Pfalz/Saarland, sein Forschungsprojekt über die Bakterielle Kartoffelknollenwelke vor, die ebenfalls über Glasflügelzikaden übertragen wird. Es geht darum, praxisrelevante Ansätze für das Management dieser Krankheiten zu entwickeln. Dafür werden verschiedene Sorten, unterschiedliche Pflanz- und Erntetermine, Untersaaten und der Einsatz von Schutznetzen erprobt. Auch biologische Pflanzenstärkungsmittel kommen zum Einsatz. Die Anwendung von Insektiziden zeigt nur teilweise Wirkung, dagegen zeichnet sich ab, dass eine Kombination verschiedener Maßnahmen die größten Erfolgschancen hat. Die weitere Forschung richtet sich darauf, welche Kombinationen unter welchen Witterungsbedingungen Wirkung zeigen.

Einen praktischen Eindruck vermittelte der Rundgang über die Versuchsfelder, bei dem Dr. Klauk uns die Versuchsanlage mit den verschiedenen Maßnahmen zeigte und die Effekte und Erfahrungen der letzten Jahre erklärte. Die vielen Fragen zu Erkenntnisse und Erfahrungen aus den Versuchen  konnten beantwortet werden, es wurde jedoch deutlich, dass mehr Forschung notwendig ist, um den Landwirten Lösungen aufzeigen zu können.

Die Veranstaltung an der TH Bingen zeigte eindrucksvoll, wie wichtig die Verbindung von Forschung, Lehre und landwirtschaftlicher Praxis ist, um aktuellen Herausforderungen im Pflanzenbau wirksam zu begegnen. Die aktuellen und in Planung befindlichen Forschungsprojekte bieten Nachwuchswissenschaftlern attraktive Einstiegsmöglichkeiten; auch die Forschungsgemeinschaft Zuckerrübe Südwest sucht aktuell wieder neue Projektmitarbeitende. https://www.ruebe.info/forschungsgemeinschaft/

Begegnungsabend im Brauwerk Bad Kreuznach

Begegnungsabend im Brauwerk Bad Kreuznach

Der zweite Tag der VDL-Jahrestagung endete für alle Teilnehmenden im Brauwerk Bad Kreuznach, wo bei gutem Essen und Bier der hauseigenen Brauerei die Erfahrungen des Exkursionstages ausgetauscht wurden.

 

Ihren Abschluss fand die Jahrestagung am Samstag Zu Fuß als auch auf dem Kahnmaran konnten die VDL-Mitglieder Bad Kreuznach entdecken und viele

interessante Eindrücke mit nach Hause nehmen.

 

 

Text: Christian Riede, Ruth Franken