VDL-NDS: Klimaresiliente Landwirtschaft – Teil 1
Fotos: Dr. Tania Runge, Gustav Wehner
Auf die Unwägbarkeiten des Klimawandels ist der traditionelle Ackerbau, sind unsere vertrauten Kulturen, nicht ausreichend vorbereitet. Es braucht Nutzpflanzen, die mit Hitze und Trockenstress zurecht kommen, aber auch neue Verfahren für Kulturen, auf die wir nicht verzichten wollen. Wir wollten einige Konzepte kennenlernen, die bereits erprobt werden und haben dazu im Rahmen einer Exkursion nach Nordhessen vom 10. bis 12. Juli Fachleute aus Wissenschaft und Verbänden sowie Landwirte und Unternehmer besucht.
Der Werra-Meißner-Kreis in Nordhessen gehört naturräumlich nicht zu den landwirtschaftlichen Gunstregionen – umso wichtiger ist hier die Stärkung der Klimaresilienz. Ansätze dazu werden durch den Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften der Universität Kassel in Witzenhausen erforscht, z.B. mit Populationssorten beim Weizen. Aber auch im konventionellen Landbau werden innovative Strategien entwickelt, zum Beispiel mit dem Anbau von Nutzhanf. Dabei muss die gesamte Wertschöpfungskette mitgedacht werden. Weitere Anregungen haben wir bei der DEULA Witzenhausen bekommen, deren Gastfreundschaft wir genießen durften. Hier haben wir uns zunächst einen theoretischen Überblick verschafft und viel über diese besondere Region erfahren. Am 11. Juli bekamen wir im Rahmen unserer Rundfahrt zu den Betrieben auch die praktischen Einblicke.
Was wir an Erkenntnissen mitgenommen haben, ist Gegenstand eines dreiteiligen Berichts, dessen erster Teil sich mit dem Potenzial von Populationsweizen befasst. Im zweiten Teil geht es um den Anbau und die Verwertung von Nutzhanf. Der dritte Teil fasst zusammen, was wir auf unserer Exkursion außerdem an Erkenntnissen und Anregungen zum Umgang mit dem Klimawandel gewonnen haben.
Populationsweizen – eine mögliche Antwort auf den Klimawandel

Dr. Odette Weedon erklärt Populationsweizen
Den Auftakt machte Frau Dr. Odette Weedon, die seit zehn Jahren am Fachbereich „Ökologische Agrarwissenschaften“ der Universität Kassel als Wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig ist. Ihr ist es wichtig, dass ihre Forschung einen praktischen Nutzen hat, deshalb bezieht sie bei allen Projekten die gesamte Wertschöpfungskette mit ein und arbeitet mit Verarbeitungsunternehmen und Landwirten zusammen. Von 2020 bis 2023 betreute sie das vom Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN) geförderte Projekt „BAKWERT – Bewertung und Akzeptanz von heterogenen Weizenpopulationen in ökologischen Wertschöpfungsketten“. Fachleute der Universität Kassel, des Kompetenzzentrums Ökolandbau Baden-Württemberg (LTZ) und des Berufsverbands Die Freien Bäcker e.V. erprobtenim Verbund mit zehn Praxisbetrieben drei Jahre lang den Anbau und die Weiterverarbeitung von Populationsweizen. Gemeinsam mit drei Mühlen und 14 Bäckereien konnten an unterschiedlichen Standorten regionale Wertschöpfungsketten aufgebaut werden. Ein wesentliches Ziel dabei war die Steigerung der Klimaresilienz im Weizenanbau bei gleichzeitiger Erhaltung der Verarbeitungsqualität.
Für den praktischen Landwirt manifestiert sich der Klimawandel vor allem in einer zunehmenden Unsicherheit über die Anbaubedingungen des folgenden Jahres zum Zeitpunkt der Anbauentscheidung. Ob ein im Herbst gesäter Weizen auswintert, im Frühjahr unter Wassermangel leidet, zur Blütezeit einen Hitzeschock bekommt oder vor der Ernte durch Starkregen ins Lager geht, lässt sich weniger denn je an Wahrscheinlichkeiten festmachen. Im Gefolge der jeweiligen Witterung kommen unterschiedliche Krankheiten und Schädlinge hinzu. Ob die spezifischen Eigenschaften und Resistenzen einer gewählten Sorte auf die dann gegebenen Umstände optimal oder gar nicht passen, wird immer mehr zum Lotteriespiel für die wirtschaftliche Existenz des Betriebes.
Das Konzept: Populationssorten könnten eine Antwort auf dieses Problem bieten. Im Gegensatz zu einer klassischen Liniensorte mit eng definiertem Züchtungsziel und genetischer Homogenität der Pflanzen zeichnen sich heterogene Weizenpopulationen durch genetische Heterogenität, also Vielfalt in ihren Eigenschaften und im Erscheinungsbild aus. Dabei sind die Eigenschaften so zusammengesetzt, dass eine hohe Varianz gegenüber Umwelteinflüssen besteht, aber die Verarbeitungseigenschaften sehr ähnlich sind. Was auch immer für Witterungseinflüsse wirksam werden, es gibt immer einen Anteil an Pflanzen in der Population, der damit zurecht kommt, so dass es nie eine totale Missernte gibt. Gleichzeitig sorgen die ähnlichen Ertragseigenschaften dafür, dass Abreife und Qualitätsparameter ausreichenden Ertrag und gute Verwertbarkeit liefern.
Wer allerdings – wie wir zunächst – annimmt, dass hier mehrere anerkannte Sorten mit unterschiedlichen Eigenschaften zusammengeschüttet werden, der liegt falsch. Die Bestandteile einer Mischung aus Liniensorten bleiben in sich genetisch identisch und bieten damit nicht den Vorteil von Populationen. Diese basieren auf der gezielten Durchkreuzung mehrerer (mindestens 5) moderner Hochleistungsorten über mehrere Generationen. Diese Elternsorten zeichnen sich durch hohe Ertragsfähigkeit und gute Qualitätseigenschaften aus. Die Zusammensetzung dieser Eigenschaften hängt vom geplanten Verwendungszweck ab. Durch den mehrjährigen Nachbau durchkreuzen sich die Elternsorten und es findet eine genetische Anpassung der F-Generationen an den Standort und unterschiedliche Witterungsverläufe statt. So ist die Population beim Transfer in die Praxis für die meisten Eventualitäten gerüstet und kann die Erwartungen an Ertrag und Qualität erfüllen. Populationen haben zudem den Vorteil, dass das Brechen von Resistenzen sehr viel länger braucht als bei Liniensorten, die dann schnell ihre Anbauwürdigkeit verlieren. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Nachhaltigkeit des Züchtungsprozesses.
Ein dickes „Aber“: Sorten müssen unterscheidbar, homogen (in ihrem Aussehen einheitlich) und beständig sein. Dann werden sie vom Bundessortenamt anerkannt und dürfen in Verkehr gebracht werden – das ist das Entscheidende am Sortenrecht. Populationen sind mit ihrer genetischen Heterogenität das genaue Gegenteil. Damit ist die Produktion von Populationssaatgut für konventionelle Züchterhäuser nicht attraktiv, weil man den erreichten Zuchtfortschritt nicht über den Sortenschutz absichern kann. Zudem ergibt sich ein Zielkonflikt zwischen dem Saatgutverkehrsgesetz (SaatG) und dem Ziel der Erhaltung der Biodiversität. Für einen begrenzten Zeitraum hat die EU deshalb mit der Richtlinie 2014/150/EU eine Ausnahmeregelung geschaffen, die den Anbau und die Vermarktung heterogener Populationen zeitlich befristet bis zum 28.02.2021 ermöglicht. Damit wurde auch die Durchführung des Bakwert-Projekts und auch die Förderung durch das BÖLN legitimiert.

Ähren aus EINER Population
Versuch macht klug: Einen ersten praktischen Eindruck von der Forschungsarbeit des Fachbereichs „Ökologische Agrarwissenschaften“ bekamen wir auf dem Versuchsbetrieb Neu Eichenberg des FB Ökologische Agrarwissenschaften, wo der Populationsweizen deutlich höher steht als der „übliche“, kurzgespritzte Linienweizen in der Landschaft rundum. Hier werden verschiedene Weizenpopulationen im Vergleich zu einer E-Weizensorte als Referenz auf unterschiedliche Fragestellungen in praktischen Feldversuchen unter ökologischen Anbaubedingungen getestet. Das Saatgut stammt überwiegend vom Dottenfelder Hof, wo man schon seit langem mit Populationen arbeitet, aber auch eine in England erstellte Population wurde in den Versuchen eingesetzt. Die Ergebnisse zeigten, dass die Populationen ertraglich unter Produktionsbedingungen des Ökolandbaus – und auch was die Backqualität betraf – sehr vielversprechend waren. Dazu zeigten sie sich hervorragend anpassungsfähig an den Klimawandel und in der Lage Beikräuter zu unterdrücken.

Freut sich auf die Ernte: Landwirt Volker Menthe
Vom Versuch in die Praxis: Mit den Feldversuchen ist es nicht getan, wenn der Praxistransfer gelingen soll. Dazu braucht es Landwirte, die bereits sind, Weizenpopulationen anzubauen, Müller, die das Erntegut aufbereiten und vermahlen und schließlich Bäcker, die daraus Backwaren herstellen. Alle drei Stufen der Wertschöpfungskette waren an dem Bakwert-Projekt beteiligt und wir konnten mit drei Teilnehmern ins Gespräch kommen. Dazu besuchten wir den Landwirt Volker Menthe vom Hofgut Weiden, der von dem Konzept überzeugt ist und uns eines seiner Weizenfelder zeigte. Kurz vor der Ernte sahen wir einen Bestand, ähnlich dem in Neu Eichenberg, aber eben unter den Bedingungen des „normalen“ Ökoanbaus. Herr Menthe war Projektpartner im Bakwert-Projekt, er plant auch weiterhin den Anbau von Populationsweizen und hat positive Rückmeldungen aus der Verarbeitung. Allerdings ist gerade ein Rückgang bei der Anzahl der Öko-Bäckereien zu beobachten, damit könnte der Absatz schwieriger werden.
Vom Korn zum Brot: Mit Manfred Kellner, der auf der thüringischen Seite in Ershausen die Esmühle betreibt, lernten wir einen Müller kennen, der auch nach dem Abschluss des Projekts Populationsweizen von Landwirten aufnimmt, getrennt verarbeitet und lagert. Die idyllisch gelegene Handwerksmühle wurde 1420 erstmals urkundlich erwähnt und ist seit 1879 im Besitz der Familie Kellner. Sie ist eine von wenigen Betrieben, die während der DDR-Zeit privatwirtschaftlich arbeiten durften, und hat auch die Rückkehr in die Marktwirtschaft bewältigt. Herr Kellner führte uns durch die gesamte Anlage und gab uns einen vertieften Einblick in das Müllerhandwerk und die Besonderheiten seines Unternehmens.

Manfred Kellner betreibt eine alte Handwerksmühle
Erst im letzten Jahr wurde in einem mit Familie und Freunden bewältigten Kraftakt die gesamte Mühlentechnik in den alten Gebäuden modernisiert. Die Produktionskapazität liegt für Weizen bei ca. 1 t pro Stunde, bei Roggen sind es ca. 750 kg pro Stunde. Vom Korn bis zum fertigen Mehl durchläuft das Getreide bzw. das Mehl über 120 Siebvorgänge und legt eine Strecke von 200 m Förderwegen zurück. Die Einlagerungskapazität beträgt insgesamt 1000 t Getreide, u.a. in neun Silos à 25 t – genau passend für den Umfang des Geschäfts mit dem Populationsweizen. Die Vermahlung heterogener Weizenpopulationen läuft problemlos, auch in schwierigen Anbaujahren hat sich dieses Getreide bewährt und Mehle mit guter Qualität geliefert. Herr Kellner will auch weiterhin Populationsweizen verarbeiten, konnte uns aber in seinem kleinen Hofladen kein Mehl anbieten, weil die alte Ernte verkauft und die neue noch nicht auf dem Hof ist. Die Kunden der Familie Kellner sind konventionell und ökologisch betriebene Bäckereien, aber auch immer mehr Privatkunden, die sich in dem kleinen Hofladen unkompliziert mit allem versorgen, was Familie Kellner produziert. Neben den typischen Mühlenprodukten gibt es Eier aus der familieneigenen Freilandhaltung, Honig von den eigenen Bienenvölkern und auch Futtermittel.
Von einem am Projekt beteiligten Bäcker konnten wir ein sehr leckeres Brot beziehen, das wir in unsere Exkursionsverpflegung einbauten. Leider wurde hierfür kein Mehl aus Populationsweizen verwendet – es war einfach keins mehr verfügbar. Der Bäcker lobte das Mehl hinsichtlich seiner Verarbeitungseigenschaften sehr und würde sich auch in Zukunft eine gesicherte Bezugsquelle wünschen.
Unser Fazit: Der Anbau von Populationsweizen hat uns als Idee, was die Klimaresilienz betrifft, überzeugt. Das Projekt Bakwert hat gezeigt, dass die Wertschöpfungskette im Ökolandbau realisierbar ist, aber das ist bisher insgesamt ein begrenzter Markt. Zudem war die Zulassung der Populationen über die Richtlinie 2014/150/EU zeitlich begrenzt und ist inzwischen außer Kraft.

Die VDL-Gruppe ist vom Populationsweizen überzeugt
Für eine größere Breitenwirkung müsste das Konzept auch im konventionellen Anbau umgesetzt werden, und dafür wäre die ausreichende Verfügbarkeit von geeignetem Saatgut eine unabdingbare Voraussetzung. Dem steht allerdings aktuell das EU-Saatgutrecht entgegen. In einer Pressemeldung des Bundessortenamtes vom 05.02.2021 zum Auslaufen der Populationenverordnung heißt es: „. . . Die neue EU-Ökoverordnung (Verordnung (EU) 2018/848), die ab 1. Januar 2022 anzuwenden ist, wird zukünftig das Inverkehrbringen von ökologisch heterogenem Material (ÖHM), also Populationen, die unter ökologischer Bewirtschaftung erzeugt wurden, regeln. Der entsprechende Delegierte Rechtsakt befindet sich derzeit noch in der Vorbereitung.“ Die hier festgelegten Regelungen beziehen sich allerdings nur auf den ökologischen Landbau. Das heißt, für eine Anwendung von Populationen in der konventionellen Landwirtschaft gibt es keine Regelungen und es ist von einem Verbot der Inverkehrbringung auszugehen.
Es braucht mehr Menschen, die von dem Konzept überzeugt sind, es in der Praxis ausprobieren und sich für die Überwindung der Hindernisse stark machen. Oder noch mehr und noch gravierendere Auswirkungen des Klimawandels entfalten eine „normative Kraft des Faktischen“ und bringen Handlungsdruck aus anderen Richtungen . . .
Text: Verena Bosse, Ruth Franken







Unser Fazit: Hier sind Profis am Werk, die auch die Praktiker unter uns sehr beeindruckt haben! Die Vermehrung von Wildsaaten mag quantitativ eine Nische sein, aber 50 Arten zu managen, von denen jede einzelne eine Diva ist, das ist mit „klassischem Ackerbau“ nur bedingt zu vergleichen. Wenn Sascha Hartig gefragt wird, ob er sich noch einmal mit Rüben, Weizen, sogar Kartoffeln beschäftigen möchte, dann winkt er ab – nicht aus Geringschätzung, sondern weil er die Herausforderung der Artenvielfalt liebt.
Gartenbau-Versicherung VVaG, frei im Rahmen der Nutzung bzgl. der Fördermitgliedschaft - Mail 8.7.2025 Frau Ruths
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