VDL-NDS: „Das Auge des Herrn mästet das Vieh“
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In der Schweinehaltung stellt das Kupieren der Schwanzspitze seit Jahrzehnten eine routinemäßige Maßnahme dar, um Schwanzbeißen vorzubeugen. Damit wird den Schweinen jedoch ein wichtiges Kommunikationsmittel genommen. Ein intakter Ringelschwanz ist für das soziale Miteinander der Tiere wichtig und ein guter Indikator für eine tierwohlgerechte Haltung. Auf dem Hof Harleß im Landkreis Uelzen werden seit zehn Jahren erfolgreich Schweine mit Ringelschwanz gemästet. Wir konnten Karl Harleß gewinnen, uns im Rahmen einer Online-Veranstaltung am 10. April einen Einblick in die tiergerechte Haltung von Schweinen auf seinen Betrieb zu geben.
Wir bekamen einen umfassenden Einblick in die Abläufe seiner konventionellen Schweinehaltung und konnten anhand zahlreicher Charts im Detail all die Stellschrauben nachvollziehen, die den Erfolg des Betriebes ausmachen. Erst auf den zweiten Blick erschließt sich der Unterschied zu all den Buchten, die man schon im Laufe von Exkursionen und Betriebspraktika während des Studiums gesehen hat: Die ganze Anlage ist aus der Psychologie des Schweines gesehen und gestaltet. Wo kann ich mich verstecken, wenn mir der fiese Kerl mit dem Schlitz im Ohr auf die Pelle rückt? Ist noch was Leckeres im Automaten, wer hat gerade den Ball zum Spielen und wäre jetzt nicht Zeit für ein Schläfchen in der gedimmten Zone? Und am Kontaktgitter zur Nachbarbucht schlendert gerade die kleine Süße vorbei, vielleicht hat sie Lust auf ein Schwätzchen? Solche Befindlichkeiten ausleben zu können, ist wesentlich für das Wohlbefinden und findet Niederschlag in der gut durchdachten und über Jahre entwickelten Gestaltung der Buchten.

Meister der Ringelschwänze: Karl und Gesine Harleß mit Sohn Phillip (v.r.n.l.)
Herr Harleß teilte seine Erfahrungen mit uns und berichtete auch offen über Rückschläge und Probleme im Verlauf der 15 Jahre, die er jetzt dieses Haltungskonzept verfolgt. Es wurde im Verlauf der Präsentation sehr deutlich, wie wichtig die intensive Beobachtung der Tiere und die konsequente Reaktion auf alle Störungen ist. „Das Auge des Herrn“ ist wohl der bei weitem wichtigste Erfolgsfaktor, wenn man Schweine mit Ringelschwanz mästen möchte. Das ist auch auf Stroh kein Selbstläufer und gilt umso mehr für die konventionelle Haltung auf Vollspalten. Herr Harleß blieb in der Diskussion keine Antwort schuldig und natürlich wollten wir auch wissen, was er mit notorischen Störenfrieden macht. Die gibt es in jeder Bucht, aber es sind nur wenige, die sich mit guter Beobachtung und viel Beschäftigung nicht befrieden lassen. Für diese Kandidaten sowie für kranke Tiere gibt es ein gut ausgestattetes Krankenabteil. In der Regel kann man die Beißer als eigene Gruppe führen, sozusagen im Gleichgewicht der Kampfkraft. Nur selten muss einer vor der Zeit den Gang zum Schlachthof antreten.
Im Ergebnis wurde eine alte Weisheit bestätigt: Das Auge des Herrn mästet das Vieh. Ringelschwanz ist möglich, auch in konventioneller Haltung. Aber nur mit durchdachtem Stallbaukonzept und intensiver Tierbeobachtung, und das ist deutlich aufwändiger als das Kupieren der Ringelschwänze.
Text: Ruth Franken