„Aktuelle Entwicklungen bei Kooperationen in Wertschöpfungsketten – Geschäftsmodelle und Best-Practice-Beispiele“ war das zentrale Thema der diesjährigen VDL-Fachtagungen im Rahmen der 67. Landwirtschaftlichen Woche Nordhessen 2015 am 13. Januar 2015 in der Stadthalle Baunatal bei Kassel und der 60. Landwirtschaftlichen Woche Südhessen am 26. Januar 2015 in der Stadthalle Gernsheim. Als Referentin konnte der VDL Landesverband Hessen e.V. Frau Bettina Rocha, Deutsche Vernetzungsstelle Ländliche Räume (DVS), Bonn, gewinnen.
„Die Land- und Ernährungswirtschaft produziert in Wertschöpfungsketten für regionale, überregionale und auch globale Märkte, dabei ist eine erhöhte Wertschöpfung in der Region wichtig. Dies gelingt unter anderem durch Kaufkraftbindung in der Region, Stärkung der vertikalen Wertschöpfungsketten, eine horizontale Wertschöpfungsspezialisierung und die Bildung von sogenannten Clustern zur Bündelung der Vermarktung“, so Bettina Rocha.
Die regional ausgerichtete Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen erlebt nach Rocha seit einiger Zeit eine deutliche Aufwertung und einen gesellschaftlichen Bedeutungszuwachs, da viele Menschen selbst auf die Entwicklung ihrer Region einwirken wollen, qualitativ hochwertige Produkte aus der Nähe wünschen und aus Sicht des Handels die regionale Herkunft ein Differenzierungsmerkmal darstellt.
Rocha erläutert einige Thesen an Beispielen der regionalen Milcherzeugung und Vermarktung der Biomolkereigemeinschaft Bliesgau im Saarland. Aus bescheidenen Anfängen hat sich heute eine bekannte Regionalmolkerei entwickelt mit einer Verarbeitung von 1,2 Mio. Liter Rohmilch/Jahr. Seit Gründung konnte die Zahl der Mitarbeiter vervierfacht werden, der Absatz an LEH und Großkunden ausgebaut und Milchproduzenten im Umkreis von 70 km dazu gewonnen werden. Mit Hilfe des Regionalentwicklungsprogrammes Leader konnte im Zeitraum 2009 bis 2011 die Regionalmarke Eifel entwickelt werden in der Projekte zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der Natur- und Kulturlandschaft Eifel, die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe, eine Existenzsicherung und Mehrerlös für die Produzenten, die Wertschöpfung in der Region, eine Qualitätsorientierung der Eifeler Betriebe und ein Imagegewinn durch Standort- und Tourismusmarketing gefördert wurden.
Beispiele für diese Projekte waren Wertschöpfungsketten in den Bereichen Bauen und Wohnen mit Holz von der Forstwirtschaft über die Erfassung mit Transport, die Verarbeitung in Eifler Sägewerken und Zimmereien bis zum Verkauf, im Bereich Getreide, Mehl und Brot. Hierbei werden die Bäcker als Multiplikatoren genutzt, um die Regionalmarke Eifel zu bewerben. In einer weiteren Linie „REGIOn.a.h.erzeugt“ mit gemeinsamer Vermarktung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus einer Region gelang es Händler und Gastronomen mit gehobenen Ansprüchen einzubinden. Partner der Wertschöpfungskette sind hierbei mehr als 50 Produzenten, darunter Landwirte, Imker, Käsereien, Brauereien, Brennereien, Röstereien, Metzgereien und weitere, vier eigene Q-Regio-h.o.f-Läden, mehr als 15 Lebensmittelgeschäfte sowie mehrere Hofläden und drei Gastronomiepartner. Rocha bringt ein weiteres Best-Practice-Beispiel für regionale Wertschöpfungsketten mit der Öko-Erzeugergemeinschaft Alb Leisa, bei der 70 Landwirte seit 2001 auf 200 bis 250 ha Linsen anbauen und aufbereiten und damit 150 Gaststätten und 450 Einzelhändler sowie einen Online-Shop beliefern.
Rocha beschrieb die gesamtge¬sellschaftliche Wirkung von regionalen Wertschöpfungsketten aus vier Sichtweisen. Ökonomisch ergeben sich Vorteile wegen der regionalen Wertschöpfung, Stützung der re¬gionalen Beschäftigung, von Einkommen und Innovationen. Aus Sicht der Umwelt werden die regionalen Stoffkreisläufe gestärkt, eine Verringerung von Transporten und CO2-Emissionen erzielt, eine erhöhte Wertschätzung und Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Umwelt als Basis der regionalen Wertschöpfung er¬reicht und bezüglich Erhalt und Pflege der Kulturlandschaft und des Naturerbes „Schutz durch Nutzung“ initiiert. Ein positiver Kulturaspekt ergibt sich durch die Stärkung der regionalen Identität wegen regionsspezifischer Produkte und aufgrund des Erhalts des kulturellen Erbes durch traditionelle und regionaltypische Wirtschaftsweisen.
Aus Sicht der Organisation ist die stärkere Einbeziehung von Unternehmen in ländlichen Entwicklungsprozessen hervor zu heben und die Förderung einer positiven Grundstimmung und Aufbruchstimmung aufgrund erfolgreicher regionaler Produkte heraus zu stellen. Dadurch werde die regionale Organisationskapazität gestärkt und regionale „Governance“ verbessert. Als Risiken einer regionalen Wert¬schöpfungspartnerschaft müssten aber die hohen Kosten für Abstimmung, Netzwerkmana¬ge¬ment und die komplexen Entscheidungsabläufe durch die Vielzahl der Beteiligten angesehen werden. Weitere lägen oft in einer unklaren Verteilung von Rechten und Pflichten, sowie Trittbrettfahrern und Mitnahmeeffekten. Probleme könnten bei Einzelnen auch durch den Verlust von Unabhängigkeit und Flexibilität entstehen und durch die Verfolgung von (politischen) Vorstellungen und Wunschprodukten ohne Marktchancen.
Unter Umständen bestehe auch ein Risiko durch den Abfluss von Wissen und Know-how sowie der Gefahr der Verkrustung und der hohen Abhängigkeit von Ein¬zelpersonen. Zur Unterstützung entsprechender Kooperationsprozesse empfahl Rocha die professionelle Begleitung bei der Findungsphase, der Problemanalyse und Konzeptionierung sowie beim Anschub der Umsetzung. Dies erläuterte sie anhand eines Beispiels zum Leader-Re-gionalmanagement, durch das Entwicklungskonzepte vor Ort entwickelt und gefördert werden. Durch den Leader-Ansatz sollen Potenziale in der Region identifiziert und genutzt werden, indem eine breite Beteiligung der Bevölkerung, von Interessengruppen sowie des gesamten öffentlichen und privaten Sektors erreicht wird. Gemäß der Leader-Logik werde so nach einer regionalen Verständigung über Ziele und Vorgehensweisen verlangt und ein Projekt gemeinsam entwickelt. Der Antragsteller sollte sich dabei möglichst aktiv in den regionalen Entwicklungsprozess einbringen.
Weiterhin ergänzte die Referentin ihre Ausführungen durch Erläuterungen zum Programm „Europäische Innovationspartnerschaften (EIP)“ und EIP Agri für die Förderperiode 2014 bis 2020 sowie die Aufgaben der Deutschen Vernetzungsstelle Ländliche Räume in Bonn bei der Begleitung und Unterstützung von Projekten in Bezug auf Leader und EIP Agri sowie Informationsveranstaltungen und Schulungsmaßnahmen.
Die abschließenden, angeregten Diskussionen unter der Leitung von Andreas Sandhäger, Direktor Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen, bei der Tagung in Baunatal und Markus W. Ebel-Waldmann, Landesvorsitzender VDL Landesverbandes Hessen e.V., bei der Tagung in Gernsheim rundeten die VDL-Fachtagungen zu diesem hochaktuellen Thema ab.