Der Berufsverband Agrar, Ernährung, Umwelt Rheinland-Pfalz / Saarland e.V. – Absolventenverband Fachhochschule Bingen V D L gestaltete mit dem Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten Mainz und dem Studiengang Agrarwirtschaft der Fachhochschule Bingen am 4. Juni in Bingen eine Tagung zu diesem in Medien und Politik oft emotional diskutierten Thema.
Der Vorsitzende des VDL-Landesverbandes Dr. Christian Lang verwies bei der Eröffnung der Tagung darauf, dass sich die Geldmenge im Euro-Raum seit Einführung des Euro um 77 Prozent erhöht habe. Die weltweite Geldmenge habe sich seit den 70er Jahren vervierzigfacht, während die Wirtschaft nur mit dem Faktor 4 gewachsen sei. Dieses Abwertungspotential habe sich in den letzten Jahren noch beschleunigt. 1960 lebten 3 Mrd. Menschen auf der Erde. In 18 Jahren werden es über 8 Mrd. Menschen auf der Erde sein – mit weiterhin steigender Tendenz.
Die Frage, wie viel Regulation in diesem Zusammenhang Wirtschaft, Landwirtschaft und Finanzwirtschaft brauchen und wer dies noch global umsetzen könne, sei in allen Bereichen aktuell in der Diskussion.
Besonders begrüßte er auch den Präsidenten des VDL-Bundesverbandes, Markus Ebel-Waldmann, der mit seiner Geschäftsstelle in Berlin für die Absolventen der Fachhochschulen und Hochschulen Lobbyarbeit betreibe. Dies sei angesichts der Umstellung auf Master und Bachelor sowie der vielfältigen Angebote des VDL-Netzwerkes eine besonders wichtige Arbeit. Als Ingenieure, Bachelor- und Masterabsolventen brauchen wir eine Lobby in Berlin, das ist der VDL-Bundesverband, erklärte Dr. Lang.
Prof. Dr. Klaus Becker erklärte in seinem Grußwort, die Fachhochschule Bingen habe im Herbst 2006 als erste Fachhochschule auf den Bachelor-Studiengang umgestellt, dem dann die Master-Studiengänge auch im Agrarbereich folgten. Mit 2541 Studierenden an der Fachhochschule Bingen sei der Studiengang Agrarwirtschaft eine tragende Säule mit steigenden Studierendenzahlen.
Einfluss der Finanzmärkte auf die Ernährungssicherheit
Ernährungssicherheit liegt dann vor, wenn alle Mitglieder der Gesellschaft jederzeit Zugang zu qualitativ und quantitativ hochwertigen Gütern haben, führte Prof. Dr. Hartmut Sommer, Fachhochschule Bingen, in seinem Referat aus. Der Referent verwies auf die Hungerdemonstration 1947 in Hamburg und auf die Tatsache, dass heute in Deutschland 16 Prozent der Bevölkerung stark übergewichtig seien. Im Jahre 1999 wären es nur 12 Prozent gewesen. Heute seien in Indien von 1,2 Mrd. Menschen 500 Mio. Menschen unterernährt, wobei die Zahl der unterernährten Kinder in Indien von 43 Prozent auf 40 Prozent zurückging.
Deutsche geben nur 9 Prozent des Einkommens für Lebensmittel aus
Weltweit stünden ausreichend Lebensmittel für die Bevölkerung zur Verfügung, doch fehle oft die Kaufkraft. In Deutschland werden nur 9 Prozent des Einkommens für Lebensmittel ausgegeben. Die obere Einkommensschicht der Bevölkerung auf den Philippinen gäbe 40 Prozent des Einkommens für Lebensmittel aus, wobei die untere Einkommensschicht sogar 60 % des Einkommens für Lebensmittel ausgeben müsse. Armut und ungleiche Einkommensentwicklung seien die Ursache für den Hunger in der Welt, wobei nicht in Afrika, sondern Asien die Bevölkerung mehr an Hunger leiden müsse.
Sind Finanzmärkte am Hunger der Bevölkerung mit schuld?
Nach Aussage des Referenten ist ein Terminhandel notwendig, damit der Produzent der Ware einen Teil des Verkaufsrisikos einem Hedger übertragen kann. (Der Hedger ist ein Marktteilnehmer, der Futures kauft oder verkauft, um sich gegen eine Preisveränderung zu schützen oder durch eine Preisveränderung einen Gewinn zu erzielen). Spekulanten seien hier notwendig, damit das System funktioniere. Weniger risikobereite Produzenten übertragen hier einen Teil des Risikos an risikobereite Spekulanten, die natürlich dieses Risiko in Gewinnerzielungsabsicht übernehmen.
Weltweite Flächenspekulation ist zu verurteilen
Seit dem Jahre 2000 wurden laut Recherchen von Prof. Dr. Sommer 57 Mio. Hektar Flächen – das ist die Hälfte der Fläche von Westeuropa – von Staaten oder internationalen Firmen in Besitz genommen und den früheren Kleingrundbesitzern meist einfach enteignet, da diese ihren Besitz nicht beweisen konnten (Kataster und Grundbücher fehlen). Korruption und Bestechung geht in diesen Ländern auf Kosten der armen Bevölkerung. Diese Entwicklung habe dazu beigetragen, dass z.B. nur 22 Prozent der in den letzten Jahren in diesen Ländern gehandelten Flächen bewirtschaftet werden.
Die durchschnittliche Flächenbewirtschaftung der Betriebe in den Entwicklungslän-dern liege bei 2 Hektar. Die fehlende Kaufkraft dieser Betriebe führe dazu, dass weltweit die Landmaschinenindustrie immer größere und schlagkräftige Maschinen produziere und diesen Kleinstbetrieben keine Maschinen zur Verfügung stünden, auch wenn sie die Kaufkraft hätten. Nicht die Spekulanten, sondern die Armut der Bevölkerung, die hohen Preise in Verbindung mit der ungleichen Verteilung von Nahrungsmitteln seien Hauptursache des Hungers.
Spekulation darf Ernährungssicherheit nicht gefährden
„Die Spekulationen mit Agrarrohstoffen schrauben die Lebensmittelpreise in die Höhe, stellte Staatsministerin Ulrike Höfken, Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten Rheinland-Pfalz in ihrem Eingangsstatement zur Podiumsdiskussion fest. Für die Menschen in Entwicklungsländern, die bereits 80 Prozent ihres Einkommens für Grundnahrungsmittel ausgeben müssten, sei diese Preistreiberei existenzbedrohend. Das Wetten auf Lebensmittelpreise durch Investmentbanken oder Versicherungen sei ein wachsender Markt. Eine Selbstregulierung funktioniere nicht ausreichend. Daher müssen von staatlicher Seite Rahmenbedingungen gesetzt werden, forderte Landwirtschaftsministerin Ulrike Höfken.
Notwendig sei eine gesetzliche Begrenzung des rein spekulativen Handels mit Agrarrohstoffen. Die Bundesregierung fordere sie auf, sich auf nationaler und internationaler Ebene aktiv dafür einzusetzen, dass zukünftig extreme Preisschwankungen von Nahrungsmitteln verhindert und somit das Menschenrecht auf Nahrung gewährleistet werde.
Der Verbrauch und die Übernutzung von Ressourcen trage wesentlich dazu bei, dass Nahrungsmittel ein Objekt für Spekulationen würden, führte Höfken an. Dazu gehöre der zunehmende Landfraß, vor allem für Verkehrs- und Siedlungsprojekte, eine nichtnachhaltige Wassernutzung, der Klimawandel und die Zerstörung landwirtschaftlicher Flächen. So seien Schätzungen zufolge 38 Prozent des Ackerlandes sowie 21 Prozent des Grünlandes weltweit von Zerstörung zum Beispiel durch Erosion oder Versalzung betroffen. Aber auch die Verschwendung von Agrarrohstoffen und Lebensmitteln, die steigende Fleischproduktion, Vor- und Nachernteverluste und die Lebensmittelverschwendung beim Verbrauch, nannte die Ministerin. „Es gibt kein Mengenproblem, sondern ein Problem der nichtnachhaltigen Bewirtschaftung und der Verteilungsgerechtigkeit“, so Höfken. Wichtiges Ziel der Politik in Rheinland-Pfalz sei es daher, die Verluste an Rohstoffen und die Verschwendung von Lebensmitteln zu verringern. Es sei unverantwortlich, dass in Deutschland jährlich über 11 Mio. Tonnen Lebensmittel im Müll landen würden.
Börsenmakler andere Auffassung als die Ministerin
Die Preisbildung auf dem freien Markt erfolge durch die Wechselwirkung von Angebot und Nachfrage, entgegnete Jürgen Kiefer von der „H.Jürgen Kiefer GmbH, Handels- und Börsenmakler, Bad Münster am Stein“ den Äußerungen der Ministerin. Die Märkte reagieren global. Die enorme Preissteigerung 2010 war ursächlich durch die extreme Trockenheit in Russland und einem schwachen Dollar begründet
Die Börsenspekulanten übernehmen hier das Risikomangement. Setzen z.B. 50 % der Spekulanten auf steigende Weizenpreise und 50 % der Spekulanten auf fallende Preise, passiert nichts. Spezialisierte Betriebe mit nur einer Monokultur tragen beispielsweise für 50 Prozent der Ernte selbst das Verkaufsrisiko und 50 % der Ernte übertragen sie einem Spekulanten dieses Risiko. Kiefer erläuterte an vielen Beispielen die Funktionsweise und Zusammenhänge der Preisbildung bei Agrarrohstoffen. Als Fazit stellte der Börsenmakler fest: Wären an den Rohstoff-Terminbörsen keine Spekulanten aktiv, hätten wir für unsere Landwirte schlechtere Preise.
Ohne Hartz IV auch bei uns Hungersnot
Ohne Sozialabsicherung der Bevölkerung litt auch in Deutschland ein Teil der Bevölkerung an Hunger, stellte Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe e.V. Bonn in ihrem Statement fest. Die Entwicklungsländer hätten einen Teil des Hungers hausgemacht. Dies liege vor allem in der Korruption und in politischen Problemen. Aber auch der Klimawandel hätte verstärkt einen negativen Einfluss auf diese Entwicklung. Die Börsenspekulationen mit landwirtschaftlichen Produkten hätten nach Ihrer Einschätzung auf die Preissteigerungen einen Einfluss von 10 bis 15 Prozent, wobei die Ursache woanders liege.
Preissteigerungen wirken sich in Entwicklungsländern aber drastisch aus, da der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel oft von 70 auf 100 Prozent steige und das Geld für Medikamente oder das Schulgeld für die Kinder somit fehle.
Interessant sei, dass die Bevölkerung in den Entwicklungsländern in den ländlichen Regionen mehr am Hunger leide als die Stadtbevölkerung. Der Landbevölkerung werde das Land oft weggenommen und sie hätten keine alternative Einkommensmöglichkeit und somit fehle die Kaufkraft für Lebensmittel.
Verpflichtung zum wirtschaftlichen Arbeiten
Um in seinem landwirtschaftlichen Betrieb wirtschaften zu können, sei er verpflichtet, wirtschaftlich zu arbeiten, betonte der Landwirt Erik Jennewein aus Münchweiler / Pfalz in seinem Statement. Trotz steigender Bevölkerung habe sich die Anzahl der hungernden Menschen absolut konstant gehalten und prozentual verringert. Die Nahrungsmittel seien die wichtigste Grundlage des Lebens und fest verknüpft mit dem Land.
Sinnlos: knappe Ressource Öl durch knappe Ressource Land zu ersetzen
In Rheinland-Pfalz wurden innerhalb der letzten 4 Jahre 10 000 ha Land dauerhaft aus der Produktion genommen, was der Landwirt Jennewein als unverantwortlich ansieht. Für jede Windkraftanlage würden ca. 2 ha Flächen benötigt. Im Donnersbergkreis seien 70 Anlagen geplant. Er sehe keinen Sinn darin, die endliche Ressource Öl durch die endliche Ressource Land zu ersetzen.
Was ist verantwortlich für Hunger in der Welt ?
Aus dem Plenum wurde die Frage gestellt, was eigentlich die Hauptursache für den Hunger in der Welt sei. Diese Frage sei bisher nicht beantwortet worden. Hierzu wurde geäußert, dass in Entwicklungsländern oft Nahrungsmittel verkauft würden, um Devisen zu bekommen, obgleich die Bevölkerung in diesen Ländern nicht satt zu essen habe. Diese Lebensmittel würden der dortigen Bevölkerung entzogen und landen bei uns oft im Schweinetrog.
Schwierige Produktionsbedingungen in den Entwicklungsländern
Ministerin Ulrike Höfken führte aus, dass die Qualität der Produkte aus den Entwicklungsländern oft nicht ausreiche, um auf dem Weltmarkt konkurrieren zu können. Außerdem seien die Standortbedingungen bei uns wesentlich günstiger als in den Entwicklungsländern. Wichtiger als der Besitz von Land sei meist der Besitz von Wasserquellen, denn auf ausgetrockneten Flächen könne nicht produziert werden.
Kaufverhalten wesentlicher Einfluss auf Preis
Prof. Dr. Petersen verwies auf den Preissprung bei Braugerste im Jahre 2008. Lag der Braugerstepreis im August 2008 bei 11 € je dt, so erhielten die Landwirte im Oktober 2008 über 23 € je dt. Wie kann man das erklären? Nach Börsenmarkler Jürgen Kiefer werde dies in erster Linie durch das Käuferverhalten verursacht. Steige der Preis, habe jeder vor weiteren Preissteigerungen Angst und kaufe Vorräte oder er kaufe Vorräte, um zum noch höheren Preis mit Gewinn verkaufen zu können. So wird der Preis hochgetrieben. Fällt der Preis, habe jeder vor weiteren Preissenkungen Angst und verkaufe schnell seine Lagerbestände und trage somit zum weiteren Preisverfall bei. Jürgen Kiefer verwies auf seine frühere Zeit als Händler, wobei er sich über Telex oder Telefon Informationen über den Markt einholen musste. Heute hat jeder Landwirt via Internet in Sekundenschnelle Kontakte zu den Märkten in der Welt und kann sehr schnell reagieren. Landwirte nutzen damit heute die gute Information über die Preissituation.
Dem Landwirt Barnim von Braunschweig aus Undenheim wurde in der Diskussion die Frage nicht eindeutig beantwortet, wie man der täglichen Versiegelung von über 100 Hektar Flächen in der BRD entgegenwirken will. Der Landverbrauch könne so nicht weitergehen.
Alfred Lorenz verwies auf eine VDL-Tagung in Rendsburg, bei der auf Pachtpreis-steigerungen von 200 € / ha auf heute 800 € / ha innerhalb der letzten 10 Jahre verwiesen wurde. Die Betreiber von Biogasanlagen würden hier die Preise hochtreiben.
Die Ministerin führte hierzu aus, dass Energiepflanzen weltweit ein Thema seien, aber derzeit nur 0,03 Prozent der Flächen für Energiepflanzen genutzt würden. Sie verwies auf ein mögliches Einsparungspotential durch Reduzierung des Fleischverbrauches, denn die Veredlung der Nahrungsmittel zu Fleisch würde die vierfache Fläche verbrauchen. Die Ministerin verwies auf die mangelnde Ernährungsbildung. In Rheinland-Pfalz fange man derzeit damit an, mit den Ernährungsberaterinnen an der Dienstleistungszentren Ländlicher Raum Ernährungsberatungen in Kitas und Schulen durchzuführen.
Versorgungssicherheit nur durch den Markt!
Die Versorgungssicherheit sei das große Plus der Märkte, führte Prof. Dr. Sommer aus. Die Märkte in den Entwicklungsländern funktionierten leider nicht. Die Armut habe zugenommen. Die Entwicklung in diesen Ländern gehe mit zwei Geschwindigkeiten. Einerseits gäbe es in vielen Entwicklungsländern einen erkennbaren Wirtschaftsboom, wobei für die benachteiligten Gruppen hiervon nichts übrig bleibe. Im Gegenteil, sie verlieren noch ihr Land und hungern. Diese auseinanderklaffende Einkommensschere sei weltweit zu erkennen.
Der Moderator Thomas Wulff, Agrarzeitung Deutscher Fachverlag GmbH verstand es, die wichtigen Informationen zusammenzufassen und in abschließender Fragerunde die lebhafte, sachliche und vom Publikum vielfältig gestaltete Podiumsdiskussion hervorragend zu beschließen. Im Anschluss zeigten die Studenten Ihre Poster, die viele aktuelle Projekte der Agrarforschung beschreiben. Dieser Tagungsteil soll auch 2013 in jedem Fall wieder stattfinden und möglichst intensiviert werden. Die Studierenden und Absolventen diskutierten im Anschluss auch auf der Mitgliederversammlung, wie man die Tagung im kommenden Jahr gestalten könne. Wir dürfen also schon heute gespannt sein und werden auch 2013 wieder den Dialog von Landwirtschaft und Hochschule fortsetzen.
Klaus Weinbach