In den beiden vergangenen Jahren hat sich in der Umsetzung des Bologna-Prozesses viel bewegt und im Wettbewerb der Agrar-Hochschulen eine spürbare Dynamik entwickelt. Diesen Eindruck nahmen die Teilnehmer des Berliner Forums „Qualifizierung für den Arbeitsmarkt“ am 17./18. Oktober mit nach Hause.
Es ist das Verdienst der vier Veranstalter – VDL-Bundesverband, Deutscher Bauernverband, Verband der Landwirtschaftskammern und Bundesverband Landwirtschaftlicher Fachbildung, dass die agrarwissenschaftliche Hochschullandschaft analysiert und der gemeinsame Dialog zwischen Hochschulen, Berufsstand, Agrarbusiness und Studierenden weiter intensiviert wird. So standen denn auch die bisherigen Veränderungen, Forderungen und Entwicklungsperspektiven im Mittelpunkt der Berliner Diskussion.
Mehr Kooperation Hochschulen & Unternehmen
Der VDL-Bundesverband sieht sich als Vermittler und Wegbereiter, wenn es um den Dialog und die Vernetzung von Hochschulen-Unternehmen-Studierenden geht. „Wir begrüßen es, wenn Praxisobjekte in die Ausbildung an den Hochschulen integriert und Bachelor- wie Masterabschlussarbeiten gemeinsam mit den Studierenden abgewickelt werden“, betonte Markus Ebel-Waldmann. Laut einer VDL-Studie, bei der über 200 Unternehmen befragt wurden, wachse die Bereitschaft der Unternehmen, enger mit den Hochschulen zu kooperieren. Das könne auch in Form von Lehraufträgen geschehen, die Hochschulen an Firmen vergeben. „Die Universitäten und Fachhochschulen müssen diese Strategie konsequent weiter verfolgen und den Wettbewerb annehmen“, forderte der VDL-Präsident.
Die Bedeutung und auch Defizite beim Praxisbezug in der Hochschulausbildung hob Hanns-Benn Wichert, Betriebsleiter und Bildungsbeauftragter des Deutschen Bauernverbandes, hervor, der zugleich auf die „Diskrepanz zwischen der Vorstellungswelt von Studierenden und der Realität in der landwirtschaftlichen Praxis“ hinwies. „Die Praxis ist unser Thema, die Agrarbranche muss stärker transparent werden“, so Wichert.
Mit Bachelor-Absolventen zufrieden
„Der Bologna-Prozess zur europäischen Hochschulentwicklung kommt deutlich voran“. Diese insgesamt positive Entwicklung attestierte Henning Dettleff von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Mittlerweile sei eine neue akademische Qualitätsstufe und deren reibungslose Integration in den Arbeitsmarkt erreicht worden. Nach Unternehmensbefragungen lasse sich eine durchweg hohe Zufriedenheit mit Bachelor-Absolventen feststellen. Allerdings werde die mangelnde Praxiserfahrung als zentraler Problembereich angeführt. Hier müssten die Hochschulen gegensteuern und Absolventen mehr in ihrer „Problemlösungskompetenz“ stärken.
Bologna oder die Idee eines einheitlichen europäischen Hochschulraumes ist nach Aussage von Dr. Birgit Galler vom Bundesministerium für Bildung Forschung die „bisher größte Hochschulreform“. Als empfehlenswerte Verbesserungen nannte die Expertin intensivere berufsbegleitende Maßnahmen beim Bachelor-Studium und eine stärkere internationale Ausrichtung der Hochschulen.
Für Michael Schlüter, Masterstudent in Gießen und stellv. Sprecher der VDL-Bundessparte Studierende, überwiegen die positiven Aspekte der Hochschulausbildung. Es gebe keinen erhöhten Zeit- und Leistungsdruck, so könne jeder Studierende die Hälfte der Modulfächer frei auswählen. Als Nachteil sieht Schlüter den „noch zu geringen Praxisbezug“ und die Tatsache, dass ein „Uni-Wechsel“ nach dem Bachelor oft gar nicht möglich ist.
In der Diskussionsrunde wurde angemerkt, dass vor allem Großunternehmen Strategien für die Weiterqualifizierung im Kontakt mit den Hochschulen entwickeln, was nicht überall auf genügend Unterstützung stoße. Oft würden Mängel in der Qualifikation der Hochschulabsolventen durch unternehmenseigene Maßnahmen „nachgebessert“.
Erwartungen der Wirtschaft
In einem weiteren Themenblock ging es um die zentrale Frage, welche Ansprüche die Arbeitgeber an die „qualifizierten“ Absolventen stellen. Nach Aussage von Kevin Heidenreich vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der eine Unternehmensbefragung zugrundelegte, stehen Einsatzbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein und selbständiges Arbeiten an erster Stelle. „Nicht nur das Fachwissen, sondern die sozialen Kompetenzen der Absolventen sind für die Unternehmen wichtig“, bilanzierte Heidenreich, der den Hochschulen empfahl, ihre Studiengänge danach zu gestalten. Die Hochschulwelt werde sich verändern, jeder Campus müsse sich auf den zunehmenden internationalen Wettbewerb einstellen.
Von Internationalität ist das Familienunternehmen Claas KGaA (Harsewinkel) schon lange geprägt, wie Anja Schladitz als Leiterin der zentralen Personal- und Organisationsentwicklung belegen konnte. „Allrounder mit Innovationskraft und Spezialisten mit Expertenwissen“, das sei die gesunde Mischung. „Die Auslandserfahrung fängt im Studium an“, so Schladitz. Alle jetzigen und kommenden Führungskräfte im Unternehmen müssten sich an den „Claas-Grundsätzen“ wie Respekt, Verlässlichkeit und Wandlungsfähigkeit orientieren.
Für Humboldt-Absolvent Jan Gumpert, Vorstandsvorsitzender der Agraset Agrargenossenschaft Naundorf eG, ist von Bedeutung, dass die Hochschulen fachtheoretisches Wissen und branchenübergreifende Grundlagen vermitteln und Studierende zum selbständigen, projektbezogenen Arbeiten anhalten. Gumperts Idealvorstellung: Der kluge Student weiß vor dem Studium, was er hinterher machen will.
Nach Aussage von Dr. Martin Berges, Direktor der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, ist die Agrarverwaltung ein Dienstleistungsunternehmen: „Wir arbeiten für unsere Kunden“. Nach diesem Leitsatz hätte sich auch das Anforderungsprofil der Stellenbewerber auszurichten. Dazu zählen u. a. breites Fach- und Methodenwissen sowie praktische Erfahrungen mit eigenverantwortlichen Tätigkeiten. Direktor Berges: „Nicht allein die Hochschule ist gefordert, sondern der Studierende selbst muss hier Eigenverantwortlichkeit und Empathie zeigen“.
Vermittlung von Kompetenzen
Bei Umsetzung der arbeitsmarktorientierten Ausbildung an den Hochschulen geht es nach Professor Dr. Roland Bauer, Vorsitzender des Fachbereichstages der Fachhochschulen im Agrarbereich (Freising), vor allem um die „Vermittlung von Kompetenzen“. Dabei gelte es zu unterscheiden zwischen Fach-, Anwendungskompetenz (Praxisbezug, Module mit Berufsfeldphase), Methoden- und Lernkompetenz. Bei der Vermittlung von Sozialkompetenz (Schlüsselkompetenz „soft skills“) sei die Hochschule oft überfordert und setze Lehrbeauftragte ein. „Der Bachelor-Studierende ist breit aufgestellt, er bleibt ein Allrounder, mit dem Masterstudium beginnt dann die Ausbildung zum Spezialisten “, so Professor Bauer, der das Modul Tierzucht mit den Inhalten Seminar, Praktikum, Exkursion, Projektarbeit, Fallstudien beispielhaft erläuterte.
Nach Darstellung von Professor Dr. Hermann Boland (Gießen) bietet das „breite Spektrum“ für die Studierenden der Agrarwissenschaften einen großen Vorteil und die Chance zur „Herstellung von Individualität“. Nach dem dritten Semester müssen die Studierenden dann wissen, welche Studienrichtung sie einschlagen wollen. Das zweistufige Curriculum sei wie ein Puzzle, jeder könne es nach seinen Vorstellungen zusammensetzen. Trotz aller Freiheit sollten Studierende mehr in ihrer Entwicklung angesprochen werden, rät Professor Boland. Das Pfund, mit dem die Hochschulen wuchern können, seien die jungen Menschen. Erkenntnis der Tagungsteilnehmer: Neben fachlichen Kompetenzen müssen die Hochschulen verstärkt berufsrelevante methodische und persönlich-soziale Kompetenzen vermitteln.
Das Duale Agrarstudium
Die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf bietet zurzeit die dualen Studiengänge für den Bachelor in der Landwirtschaft sowie im Landschaftsbau und –management an. Ab 2012 wird das duale System für die Brau- und Getränketechnologie und das Lebensmittelmanagement hinzukommen. Das Bachelorstudium und die Ausbildung zum Landwirt kann binnen 4,5 Jahren absolviert werden. Nach Aussage von Prof. Dr. Wolf-Dieter Rommel bietet diese Doppelqualifikation im Rahmen eines „Verbundstudiums“ besondere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Blick ins Forum (Foto: Barth)
Berufsbegleitende Studiengänge
Die Vielfältigkeit des Studiums der Studienangebote wird auch bei den berufsbegleitenden Studiengängen deutlich, wie sie die ADG Business School an der Steinbeis-Hochschule Berlin als größte private deutsche Universität im Programm hat. Laut René Borresch, ADG Akademie Deutscher Genossenschaften in Montabaur, gelingt bei diesem Studium die Vernetzung von Theorie und Praxis: „Durch eine intelligente Kombination von Selbststudium, Präsenzphasen und Projektarbeiten lassen sich Studium und Beruf optimal integrieren“, so Borresch. In den Studiengängen Finanz, Handel und Hotel sind zurzeit 950 Bachelor- und Masterstudierende immatrikuliert.
Internationales Netzwerk von fünf Universitäten
Als Praxisbeispiel für Innovative Konzepte in der Hochschulausbildung stellte Prof. Dr. Uwe Schmidt, Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, den Universitätsstudiengang „International Master in Horticultural Sciences“ vor. Mit der internationalen Vernetzung von zurzeit fünf Universitäten – Berlin, Bologna, Budapest, München und Wien – sollten Standortdefizite in Lehre und Forschung aufgefangen werden. „Das viersemestrige Masterstudium erfordert von Studierenden und Lehrenden eine große Mobilität und Flexibilität“, sagt Professor Schmidt und ergänzt: „Wir leben in einem Labor und wir sind die Kaninchen“. Pro Semester steht an der HU Berlin die begrenzte Zahl von 10 Studienplätzen für diesen internationalen Masterstudiengang der Gartenbauwissenschaften zur Verfügung.
Studieren in den Niederlanden
Auslandserfahrungen bringen für jede Biographie Extra-Pluspunkte. Über „Praxisorientierte Studienangebote in den Niederlanden“ informierte eine sechsköpfige Delegation der CAH Dronten unter Leitung von Dozent Erik Hassink die Tagungsteilnehmer. Mit viel Enthusiasmus erläuterten sie Möglichkeiten und Chancen des Bachelor- und Masterstudiums an der Hochschule für Pferdemanagement, Agrar- und Ernährungswirtschaft in Dronten.
Deutsche Kommilitonen – sie wurden in einem vorgeschalteten dreiwöchigen Sprachkurs mit dem Niederländischen vertraut gemacht – schilderten ihre bisherigen Studienerfahrungen und zeigten sich besonders angetan vom hohen Praxisbezug, den engen Kontakten mit den Dozenten, kleinen Studiergruppen (durchschnittlich 20 Teilnehmer) und der lockeren Campusatmoshäre (Studierende und Dozenten „duzen“ sich). Kleiner Wermutstropfen: Pro Jahr fallen Studiengebühren in Höhe von 1.735 Euro an.
Text und Fotos: Dr. Dieter Barth